Stephan Otto Horn SDS
Eucharistische Spiritualität bei Papst Benedikt XVI.

Junge Christen, die eine persönliche Beziehung zu Jesus Christus gewonnen haben, haben manchmal erlebt, dass ein Wort der Heiligen Schrift tief in ihr Herz gefallen ist, ja sie vielleicht sogar zu Tränen bewegt hat. Ein Wort, das ihnen von da ab Freude und Kraft geschenkt hat.. Etwa das Wort: „Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, ich werde euch erquicken“ (Mt 11,28) oder das Wort aus den Seligpreisungen: „Selig die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen“ (Mt 5,8) oder das Wort: „Ich habe dich in meine Hand geschrieben“ (Jes 49,16). Das sind Worte, in denen die Freude aufleuchtet, dass Gott uns nahe ist, um uns weiß und uns an sich zieht.

Für den Heiligen Vater ist ein Wort des Apostels Paulus besonders wichtig geworden: „Ich lebe im Glauben an den, der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat.“ (Gal 2,20) Dieses Wort kommt ganz aus der Herzmitte des Apostels. Es ist ein Wort, das sein ganzes Leben trägt. Es ist ein einzigartiges Wort, weil es von der Gewissheit getragen ist, dass Jesus in seinem Leiden und Sterben den Apostel Paulus ganz persönlich gemeint hat. „Er hat mich geliebt und sich für mich hingegeben.“ Ein wunderbares Wort, weil jeder von uns es voller Dankbarkeit und Freude nachsprechen darf.
1. Eucharistie – Erfahrung der Liebe Gottes, die uns verwandelt
Warum wohl ist dieses Wort des Apostels auch für Joseph Ratzinger-Papst Benedikt besonders wichtig geworden? Ich möchte darauf folgende Antwort geben. Es erinnert ihn nicht nur an das Geschehnis der Passion Jesu, die sich vor 2000 Jahren auf Golgota vollendete. Dieses Geschehnis wird für ihn zur Glaubenserfahrung in der Eucharistie. Die Liebe Jesu, die bis zum Äußersten geht, wird uns allen in der Eucharistie und da besonders in der Kommunion geschenkt. Sie reicht in unser Heute herein und berührt jeden von uns ganz persönlich. Es bleibt nicht bloßes Wort, sondern wird Wirklichkeit. In der Eucharistie schenkt sich mir Jesus Christus und macht so seine Hingabe am Kreuz für mich gegenwärtig. „Er hat mich geliebt“, das heißt nun: Er liebt mich. „Er hat sich für mich hingegeben“, heißt nun auch: Er schenkt sich mir.

So ist der Augenblick der Kommunion für Papst Benedikt ein sehr dichter Augenblick. Gott schenkt sich uns in Jesus Christus, und er schenkt sich uns in der göttlichen Liebe, die bis zum Äußersten geht. So trifft Gott unser Herz und kann es verwandeln, wenn wir uns ihm öffnen. Vielleicht können wir dies von der Erfahrung menschlicher Liebe her schon erahnen. In Liebe angenommen zu sein, Vertrauen geschenkt zu bekommen – vielleicht sogar mehr, als wir verdienen – das kann uns sehr berühren, ja es führt uns dazu, dass auch wir uns öffnen auf den anderen hin – und so kann es geschehen, dass wir über uns hinauswachsen und ein anderer Mensch werden. Wir werden verändert, verwandelt.

Die verwandelnde Kraft der Kommunion liegt darin begründet, dass die Eucharistie die Hingabe des Sohnes Gottes in seiner Passion gegenwärtig setzt und dass so die Liebe Gottes in unsere Welt einbricht. Es ist eine Hingabe, deren Bedeutung Papst Benedikt den jungen Menschen auf dem Marienfeld mit dem Bild der Kernspaltung verdeutlicht hat: „Dies ist nun der zentrale Verwandlungsakt, der allein die Welt wirklich erneuern kann: Gewalt wird in Liebe umgewandelt und so Tod in Leben… Der Tod Christi ist sozusagen die Kernspaltung im Innersten des Seins – der Sieg der Liebe über den Tod. Nur von dieser innersten Explosion des Guten her, die das Böse überwindet, kann die Kette der Verwandlungen ausgehen, die allmählich die Welt umformt.“ Die Eucharistie ist der Ort solcher Verwandlungen. Sie überströmt uns geradezu mit der Liebe Gottes, und so werden wir fähig, uns Gott anzuvertrauen, ihn zu lieben. Die Erfahrung göttlicher Liebe erfüllt uns so mit Freude und Dankbarkeit, dass wir auch fähig und bereit werden, andere zu lieben. Ja, in der Eucharistie werden wir geradezu in den Hingabeakt Jesu hineingezogen, in die Dynamik seiner Liebe.

Wie wichtig dies für unser Leben ist, mag eine wichtige Erfahrung von Mutter Teresa und ihren Schwestern zeigen. Sie hatte eines Tages das Empfinden, dass ihre Schwestern durch den Dienst an den Ärmsten der Armen überfordert waren. Waren sie wieder daheim, konnte es geschehen, dass sie gereizt miteinander umgingen. Sie fand eine Lösung, die uns überraschend vorkommt. Sie führte eine einstündige eucharistische Anbetung für sie ein. Wir möchten vielleicht denken, das könne keine Entlastung sein, sondern sei eher eine zusätzliche Belastung. Aber die Anbetung bewährte sich in der Tat. Anbetung bedeutet ja nicht, eine zusätzliche Pflicht zu erfüllen, sondern in der Gegenwart Christi auszuruhen, sich von seiner Liebe beschenken zu lassen, ihm sein Herz ausschütten zu können. Dies zeigt uns, was die Feier der Eucharistie und die Kommunion im Besonderen bedeuten: wir dürfen zuallererst die Liebe Christi empfangen, uns von ihr beschenken lassen. Wie können uns ihm anvertrauen. Wir spüren ja, dass wir können nicht immer nur geben und eine Leistung bringen können. Wir dürfen uns zuerst selber beschenken lassen mit der Liebe Gottes, der mit uns eins wird. Dann erst können wir sie weiterschenken. Folge der Kommunion ist die „soziale Kommunikation der Christen miteinander“(Papst Benedikt), aber auch mit allen anderen. In der Kommunion werden wir Christen ja in die Dynamik der Liebe Christi hineingezogen, werden immer mehr zu Menschen, die in ihrem Alltag Liebe zu allen zeigen. Dies wollen wir später nochmals bedenken.
Papst Benedikt öffnet uns die Augen auch dafür, dass in der Eucharistie die tiefste Sehnsucht des menschlichen Herzens wenigstens anfanghaft Erfüllung findet. Er weiß, dass es die tiefste Sehnsucht in allen Religionen ist, mit Gott eins zu werden. Hier in der Eucharistie erfüllt sich diese Sehnsucht. In der Liebe Jesu Christi trifft uns ja die Liebe Gottes des Vaters. Und sie schenkt uns die Hoffnung auf den Augenblick der endgültigen Einung mit Gott, in der unser Ich nicht ausgelöscht ist, sondern in die dreifaltige Liebe Gottes hineingerissen wird. Eucharistie ist also tiefe Glaubenserfahrung der Nähe Gottes, der innigsten Vereinigung mit ihm. Diese Glaubenserfahrung kann und soll alle Schichten unseres Seins durchdringen.
2. Eucharistie und Anbetung
In der Liebe Christi berührt uns die Liebe Gottes des Vaters, der ihn für uns hingegeben hat. Die Liebe Christi ist aber nicht nur auf uns ausgerichtet, sondern zuerst auf den Vater. Im Abendmahlssaal hat Jesus sich ganz dem Vater anheimgegeben und im Voraus sein Ja zur Passion gegeben. Das Kreuzesopfer ist so reine Hingabe Jesu an den Vater, höchste Form der Liebe, Anbetung. In der Eucharistie wird die Hingabe Jesu an den Vater neu gegenwärtig in den Worten Jesu, die wir auch Wandlungsworte nennen. Die Worte, die Jesus beim letzten Mahl gesprochen hat, spricht nun der Priester in der Feier der Eucharistie in der Person Jesu, d.h. anders gesagt: der auferstandene Herr spricht selbst durch den Mund des Priesters.

Auf diese Weise will uns Christus in seine Hingabe an den Vater hineinziehen. Diese Hingabe hat für Christus wie für uns nichts Zerstörendes an sich. Sie ist für uns vielmehr Antwort auf die Liebe Gottes, der uns erschaffen hat, um uns in einen nie endenden Dialog der Liebe einzubeziehen. Sie ist zudem Antwort auf die Liebe Gottes, der in seinem Sohn unsere Schuld hinweggenommen und den Hass der Welt durch seine Liebe überwunden hat. Indem wir uns in der Heiligen Messe hineinnehmen lassen in das Opfer Christi, in seine Hingabe an den Vater, werden wir mehr und mehr fähig, unser ganzes Leben zum Lobpreis Gottes, zur Anbetung, zu einem dem Herrn gemäßen Gottesdienst. Unser ganzes Leben kann Eucharistie werden: Gebet, Danksagung, Hingabe.

Nun können wir uns freilich die Frage stellen: Welche Bedeutung hat die eucharistische Anbetung, jene Verehrung, die wir außerhalb der Eucharistie dem in der Gestalt des Brotes anwesenden Herrn zollen? Blicken wir hier für einen Augenblick auf den jungen Theologen Ratzinger. Er wandte sich in seiner Doktorarbeit dem hl. Augustinus zu und wurde von ihm tief geprägt, gerade im Blick auf die Theologie und Spiritualität der Eucharistie. Nun kannte freilich die Kirche zur Zeit Augustins, die Kirche der Väter, die eucharistische Anbetung noch nicht. Joseph Ratzinger selbst hat einmal erzählt, wie ihm dies zur Frage wurde. „Von Augustinus her hatte ich begriffen, dass Eucharistie der lebendige Vorgang der Kommunion Christi mit uns ist. Die überlieferte eucharistische Frömmigkeit in Prozessionen, Andachten, stiller Anbetung vor dem Allerheiligsten gab es zu Zeiten Augustins noch nicht… Erst schrittweise ging mir im Lauf der Jahre auf, dass diese späteren Entwicklungen ganz organisch und logisch die grundlegende Erfahrung entfalten, von der Augustinus geprägt war.“ Aber nicht nur seine eigenen theologischen Erwägungen brachten ihm Antworten auf seine Frage, sondern auch die Spiritualität von Franz von Assisi und Dominikus und ihrer Bewegungen, bei denen die eucharistische Frömmigkeit aufblühte. Für Ratzinger als Theologen sind, wie wir auch hier sehen, die Heiligen von großer Bedeutung, nicht zuletzt als Anreger der Theologie.

Er sah nun immer deutlicher, daß die Begegnung mit Christus in der Kommunion, die Einung mit ihm nur in der vollen Offenheit und Hingabe des Herzens recht geschehen konnte, also in der Anbetung, in der freudigen und vollen Übereignung seiner selbst an den Herrn und mit ihm an den Vater. Anbetung ist, wie Ratzinger sagt, “ ihrem Wesen nach immer Liebe in ihrer höchsten Form“. Die Kommunion erfordert Anbetung, und so gehört der Akt der Anbetung in die Mitte der Eucharistie. Von da aus erkannte er, dass auch die eucharistische Anbetung, die nicht im Rahmen der Messfeier geschieht, von großer Bedeutung für die rechte Mitfeier der Eucharistie ist. Eucharistische Anbetung ist Einübung in den rechten Empfang der Kommunion, in die rechte Einung mit Christus. So konnte er einmal sagen: „Nur im Klima der Anbetung kann die eucharistische Feier ihre Größe und Kraft entfalten… Anbetung und Kommunion konkurrieren nicht, sondern sind letztlich eins …“ Deshalb fördert Papst Benedikt die eucharistische Anbetung. Bewegend sind für ihn die Zeiten der Anbetung in den Vigilfeiern, besonders in denen der Weltjugendtage, wenn Hunderttausende junger Menschen still werden, ihr Herz öffnen, die Nähe Christi erfahren und sich von seiner Liebe berühren lassen.
3. Eucharistie und Kirche
Schon für den jungen Theologen Ratzinger ist Eucharistie ist nicht nur ganz persönliche Begegnung mit Christus und Einung mit ihm. Sie bringt ihm auch eine tiefe Freude an der Kirche. Denn Christus gibt sich in der Eucharistie allen Gläubigen, er zieht sie an sich, so daß sie eins werden in ihm, also geradezu sein Leib sind. Ratzinger verdankt diese Einsicht dem hl. Augustin. Eines Tages hat er berichtet, wie dies geschah. „Bei meiner Arbeit aber“ – gemeint ist seine Doktorarbeit – „stieß ich auf etwas Unerwartetes. Augustinus nannte… die Kirche nicht ‚mystischer Leib Christi‘, sondern einfach ‚Leib Christi‘ und dies deswegen, weil sie den Leib Christi empfängt und so selbst Leib Christi wird. Auf diese Weise wurde mir sichtbar, dass bei den Vätern Eucharistie und Kirche nicht wie zwei verschiedene Dinge nebeneinander stehen, sondern durchaus ineinander-fallen… Kirche entsteht und besteht dadurch, dass der Herr sich Menschen kommuniziert, in Kommunion mit ihnen tritt und sie so zur Kommunion miteinander bringt.“ Eucharistie schenkt damit nicht nur Eins-werden mit dem Herrn, sondern auch Eins-werden mit den anderen, die ihn empfangen wie wir, sodass alle eins werden in ihm. So wählte er damals als Motto seiner Arbeit das Wort des Apostels Paulus (1Kor 10,17): „Weil ein Brot sind wir, die Vielen, ein Leib.“

Diese Sicht des Ineinander von Kirche und Eucharistie hat sich das Zweite Vatikanische Konzil zu eigen gemacht. Sie kann auch uns zu einer tiefen Freude an der Kirche führen. In dieser Sicht erscheint die Kirche nicht einfach als eine Gemeinschaft in Glaube, Hoffnung und Liebe, eine Gemeinschaft, die Heilige und Sünder umfasst. Gewiss ist die Kirche auch das. Aber sie ist viel mehr. Ihre Mitte ist die Eucharistie und damit Christus selbst, der Gekreuzigte und Auferstandene. Er zieht in der Eucharistie uns alle an sich und macht uns zu seinem Leib, so dass wir im Glauben eine ganz tiefe Einheit mit ihm und untereinander erfahren können.
In seiner Enzyklika „Deus caritas est“ spricht der Papst denn auch vom sozialen Charakter der ‚Mystik‘ des Sakraments der Eucharistie:“Denn in der Kommunion werde ich mit dem Herrn vereint wie alle anderen Kommunikanten: ‚Ein Brot ist es. Darum sind wir viele ein Leib, denn wir alle haben teil an dem einen Brot‘, sagt der heilige Paulus (1 Kor 10,17). Die Vereinigung mit Christus ist zugleich eine Vereinigung mit allen anderen, denen er sich schenkt. Ich kann Christus nicht allein für mich haben, ich kann ihm zugehören nur in der Gemeinschaft mit allen, die die Seinigen geworden sind oder werden sollen. Die Kommunion zieht mich aus mir heraus zu ihm hin und damit zugleich in die Einheit mit allen Christen. Wir werden ‚ein Leib‘, eine ineinander verschmolzene Existenz. Gottesliebe und Nächstenliebe sind nun wirklich vereint: der fleischgewordene Gott zieht uns alle an sich.“ Die Freundschaft mit Christus befähigt uns so zur Freundschaft untereinander.

So bewirkt besonders die Eucharistie Einheit, Überwindung der Fremdheit, Möglichkeit der Teilhabe am geistlichen Reichtum der anderen, Erfahrung von Freundschaft. In einer Katechese, die Papst Benedikt dem hl. Paulinus von Nola gewidmet hat, verweist er darauf, dass die Gemeinschaft der Kirche von ihm vor allem durch eine ausgeprägte Praxis der geistlichen Freundschaft gelebt hat. Und er zitiert einen Abschnitt eines ersten Briefes an Augustinus: „Es ist nicht verwunderlich, wenn wir, obwohl räumlich entfernt, einander nahe sind und uns kennen, ohne uns kennengelernt zu haben, denn wir sind Glieder des einen Leibes, wir haben ein einziges Haupt, wir werden von einer einzigen Gnade überflutet, wir leben von einem Brot, wir gehen auf einer einzigen Straße, wir wohnen in demselben Haus.“ Papst Benedikt fügt hinzu: „Wie man sieht, eine sehr schöne Beschreibung dessen, was es heißt, Christ zu sein, Leib Christi zu sein, in der Gemeinschaft der Kirche zu leben.“ Mir scheint, dass Papst Benedikt gerade in den Worten von Paulinus von Nola sich selber zeichnet.