Fußnoten

9 Joseph Cardinal Ratzinger, Wendezeit für Europa? Diagnosen und Prognosen zur Lage von Kirche und Welt, Einsiedeln u. a. 1991, S. 15 f., 33 f. Laut Ratzinger ging „die Revolte von 1968 in Deutschland weitgehend von den theologischen Fakultäten“ aus, wo die Parteinahme für eine bessere Welt die konfessionelle Dimension ersetzte, siehe: Kirche, Ökumene und Politik (wie Anm. 2), S. 146.

10 In Königstein im Taunus tagte die westdeutsche Bischofskonferenz unter dem Vorsitz des Münchener Erzbischofs Julius Kardinal Döpfner am 29. und 30. August 1968, um die Enzyklika Humanae vitae zu erörtern. Sie gaben eine Erklärung heraus (eigentlich waren es zwei: eine kürzere und eine längere), die das Lehrschreiben des Papstes bestätigte. Jedoch fügten sie hinzu, daß von allen „die verantwortungsbewußte Gewissensentscheidung der Gläubigen“ zu achten sei, selbst dann – so unterstellten viele –, wenn damit ein Katholik von einer kirchlichen Entscheidung abwich, die aus dem Rahmen der Unfehlbarkeit herausfällt, was ihrer Meinung nach bei Humanae vitae der Fall war (Text in: Herder-Korrespondenz 22 [1968], Sp. 484–487). Die ostdeutschen Bischöfe tagten in der damaligen DDR-Hauptstadt Ost-Berlin unter dem Vorsitz des Berliner Erzbischofs Alfred Kardinal Bengsch und gaben am 10. bzw. 12. September 1968 eine ganz und gar positive Erklärung heraus, die das Lehrschreiben ohne Ausflüchte annahm (Text in: St. Hedwigsblatt 15 [1968], Nr. 38–41).

11 Das Gewissen in der Zeit, in: IKaZ Communio 1 (1972), S. 432–442; auch in: Reinhold-Schneider-Gesellschaft e. V. Heft 4, Juli 1972, S. 13–29; sowie in: Kirche, Ökumene und Politik (wie Anm. 2), S. 153–164.

12 Siehe Joseph Cardinal Ratzingers Einführungsvortrag zum Newman-Symposium in Rom vom 28. April 1990, deutsch in: Maria Katharina Strolz, Margarete Binder (Hrsg.), J. H. Newman, Lover of Truth, Rom 1991, S. 141–146.

13 Joseph Ratzinger, Theologische Prinzipienlehre. Bausteine zur Fundamentaltheologie, München 1982, S. 338. Beim Kommentieren dieses mittelalterlichen Verständnisses von Theologie weist Ratzinger darauf hin, daß, obwohl Abaelard die Theologie aus dem Monasterium in die akademische Neutralität übertragen hat, die folgenden Jahrhunderte die Notwendigkeit des entsprechenden geistlichen Kontextes für das Studium nicht aus den Augen verloren haben. „Mir scheint, daß wir eigentlich erst nach dem Zweiten Weltkrieg und vollends erst nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil dazu gekommen sind, daß Theologie pur akademisch studiert werden kann wie irgendein exotisches Objekt, von dem man sich Erkenntnisse erwirbt, deren Weitergabe dem Lebensunterhalt dient“ (ebd.).

14 Vgl. seine eigene Darstellung des Kolloquiums in: Joseph Kardinal Ratzinger, Salz der Erde. Christentum und katholische Kirche an der Jahrtausendwende. Ein Gespräch mit Peter Seewald, Stuttgart 1996, S. 69. Für eine kurze Geschichte des Schülerkreistreffens, in das sich das ursprüngliche Doktorandenkolloquium verwandelte, nachdem Professor Ratzinger 1977 Kardinalerzbischof von München-Freising geworden war, vgl. Stephan Otto Horn SDS, Il Cardinale Ratzinger e i suoi studenti, in: Josef Clemens, Antonio Tarzia (Hrsg.), Alla scuola della Verità. I settanta anni di Joseph Ratzinger, Mailand 1997, S. 9–26

15 Es scheint, als habe die Diskussion um den Textentwurf für Gaudium et spes, die Pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute, tatsächlich einen deutlichen Wendepunkt ausgemacht, urteilt man von Ratzingers Kritik an dessen Grundausrichtung aus, besonders dessen popularisierten „Teilhardismus“, der beinahe darauf abzielte, den menschlichen Fortschritt und die christliche Hoffnung miteinander zu identifizieren; vgl. Aidan Nichols, The Theology of Joseph Ratzinger. An Introductory Study, Edinburgh 1988, S. 99–108, mit Bezug auf: Joseph Ratzinger, Die letzte Sitzungsperiode des Konzils, Köln 1966.

16 Siehe z. B. Die Tochter Zion, Einsiedeln 1977, S. 50 mit Anm. 9, wo er die Kritik von Balthasars bezüglich möglicher Mißverständnisse wegen einer früheren Meinung zur Jungfrauengeburt akzeptiert.

17John Henry Kardinal Newman, Über die Entwicklung der Glaubenslehre, Mainz 1969, S. 40.

18 Siehe auch Kirche, Ökumene und Politik, S. 233, 241.

19 In seinem Vorwort zu Conversi ad Dominum. Zu Geschichte und Theologie der christlichen Gebetsrichtung von Uwe M. Lang (Einsiedeln 2003) rief der damalige Kardinal Ratzinger zu einem entspannteren Diskussionsklima als unmittelbar nach dem II. Vatikanum auf. Die Suche nach „den besten Weisen praktischer Verwirklichung des Heilsgeschehens“ soll „ohne gegenseitige Verurteilungen im sorgsamen Hören auf die anderen, aber besonders auf die innere Weisung der Liturgie selbst“ erfolgen, so fordert er.

20 Vom Wesen des Akademischen und seiner Freiheit, in: Wesen und Auftrag der Theologie. Versuche ihrer Ortsbestimmung im Disput der Gegenwart, Einsiedeln u. a. 1993, S. 26–35.

21 Das Eingangskapitel „Glauben in der Welt von heute“ seiner Einführung in das Christentum ist ein gutes Beispiel für seinen Stil.

22 Der bejahrte Kardinal Frings begegnete Ratzinger bei einem Konzert und bat den jungen Professor, der bereits einiges Ansehen gewonnen hatte, um Hilfe bei einer Rede, die er am 21. November 1961 in Genua zur Konzilsvorbereitung zu halten hatte. Der Kardinal war so beeindruckt von dem Text, den Ratzinger vorbereitet hatte, daß er daran nur eine kleine Veränderung vornahm. Später machte die Rede großen Eindruck in Genua. Als Frings dem Münchener Kardinal Julius Döpfner den Text zeigte, sagte dieser: „Tja, ein historisches Dokument, er [Döpfner] wollte damit sagen: Das sind schöne Zukunftsträume, aber davon wird kaum etwas in Erfüllung gehen“ (Norbert Trippen, Josef Kardinal Frings [1887–1978], Bd. 2: Sein Wirken für die Weltkirche und seine letzten Bischofsjahre, Paderborn u. a. 2005, S. 241 f.

23 Feldkirch, 2. Aufl. 1988. Zu Ratzingers eigenem kurzen Bericht seiner Zeit auf dem Konzil (abgesehen von den Büchern, die er damals über das Konzil schrieb) vgl. Salz der Erde, S. 75 ff., Aus meinem Leben. Erinnerungen (1927–1977), Stuttgart 1998, S. 100 ff. Die theologischen Differenzen zwischen Ratzinger und Küng sind bekannt, weniger bekannt als die zwischen Ratzinger und Rahner. „Bei der gemeinsamen Arbeit (am Konzilstext über die Quellen der Offenbarung) wurde mir klar, daß Rahner und ich trotz der Übereinstimmung in vielen Ergebnissen und Wünschen theologisch auf zwei verschiedenen Planeten lebten“ (Aus meinem Leben, S. 131).

24 In seiner Ansprache an die Römische Kurie vom 22. Dezember 2005, in der er die Hauptereignisse des vergangenen Jahres Revue passieren ließ, kommentierte Papst Benedikt XVI. auch den 40. Jahrestag des Abschlusses des Zweiten Vatikanischen Konzils. Die Ansprache enthält seine Beurteilung der großen Aufgaben, die das Konzil sich gesetzt hatte, sowie der Umsetzung seiner Dokumente. Das Konzil, so stellt er heraus, wurde in zwei verschiedenen Weisen umgesetzt, die zwei verschiedenen Interpretationen entspechen: der Hermeneutik der Diskontinuität und des Bruches auf der einen Seite, der Hermeneutik der Reform auf der anderen. Die erste akzeptierte als allein authentisch den „Geist“ oder progressiven Elan der Texte und verwarf alle Elemente der älteren Tradition, die sich in den Texten finden, als Kompromisse, die nicht so bindend wären. Die zweite interpretiert das Konzil – korrekterweise nach Meinung des Papstes – innerhalb des Kontextes der gesamten Tradition, nicht als Bruch mit der Tradition.

25 Ich beziehe mich hier besonders auf die Art und Weise, wie seine Theologie immer im Dialog mit gegenwärtigen Ereignissen und Denkströmungen entsteht. Sein pastoraler Ansatz ist am deutlichsten in seinen Predigten, z. B. in den drei Predigten, die er im Advent 1964 in Münster hielt, die vor kurzem unter dem Titel Vom Sinn des Christseins (München 2005) neu aufgelegt wurden.

26 Siehe z. B. seine Meditationen zu Advent und Weihnachten, die unter dem Titel Vom Segen der Weihnacht (Freiburg 2005) kürzlich wieder erschienen sind und wissenschaftliche Erkenntnis mit pastoraler und geistlicher Intuition verbinden. Siehe auch die Serie seiner Fastenpredigten zur Schöpfung, die er in der Liebfrauenkirche in München hielt, als er dort Erzbischof war: Im Anfang schuf Gott. Vier Predigten über Schöpfung und Fall, Einsiedeln u. a., 2. Aufl. 1996.

27 Zu seinen eigenen Überlegungen zum Thema siehe Joseph Kardinal Ratzinger, Glaube – Wahrheit – Toleranz. Das Christentum und die Weltreligionen, Freiburg 2004

D. Vincent Twomey SVD , in: „Benedikt XVI. Das Gewissen unserer Zeit.
Ein theologisches Portrait“
KAPITEL 1
Das Gewissen des Lehrers

Deutschland war immer noch in Aufruhr, und nicht zuletzt die deutschen Universitäten, als ich nach Münster in Westfalen kam, um mein Doktoratsstudium aufzunehmen. Das war zwei Jahre nach der Studentenrevolte von 1968, dem Jahr, in dem neben anderen epochemachenden Ereignissen wie dem blutigen Ende des Prager Frühlings in der Tschechoslowakei oder dem Beginn der Unruhen in Nordirland auch die Veröffentlichung von Humanae vitae erfolgte, welche die Kirche beinahe in zwei Teile spaltete. Die Studentenrevolte kündigte einen Linksruck in der Politik an und degenerierte rasch in Terrorismus – ein Phänomen, das Joseph Ratzinger später als ein Symptom einer tieferliegenden Krankheit in der Gesellschaft diagnostizierte, einer Krankheit, deren Wurzeln intellektueller und letztlich theologischer Art seien.(9)
Die Enzyklika Papst Pauls VI. zur Geburtenregelung war die Wasserscheide in der nachkonziliaren Ära, welche die Kirche in zwei Lager polarisierte: auf der einen Seite diejenigen, die mit der Behauptung, dem „Geist des Konzils“ zu folgen, die Enzyklika ablehnten, auf der anderen Seite diejenigen, die skeptisch auf die namens der Erneuerung eingeführten Veränderungen blickten, sich auf die Tradition beriefen und die Lehre des Papstes akzeptierten. Die Krise, welche die Veröffentlichung von Humanae vitae verursachte, berührte an erster Stelle die Moraltheologie, aber auch die Dogmatische Theologie und eigentlich die Theologie als ganze, denn was auf dem Spiel stand, war das Wesen des kirchlichen Lehramts und somit der Tradition, deren Wahrnehmung sich im Nachwirken des Zweiten Vatikanischen Konzils radikal verändert hatte. Bald wurde klar, daß die Krise nicht bloß eine interne Angelegenheit der Kirche war. Sie spiegelte die Krise der westlichen Zivilisation, die ihrerseits ihre Ursache in einer dreifachen Ablehnung hatte: der moralischen Objektivität, der Tradition und der eines allgemeinen Wesens des Menschen. Die westdeutsche Bischofskonferenz veröffentlichte ihre etwas zweideutige Antwort auf Humanae vitae in der Königsteiner Erklärung, (10) mit der sie zugleich die Lehre des Papstes annahm und die Menschen ermutigte, „ihrem Gewissen zu folgen“, worunter zu jener Zeit eine in Widerspruch zur traditionellen, von Papst Paul VI. bestätigten Lehre stehende Handlungsweise verstanden wurde – falls jemand diese für richtig hielt. Indem sie über die Sprünge hinwegschrieben, mögen die Bischöfe die Kirche in Westdeutschland zusammengehalten haben, aber die Sprünge waren Spalten im Felsen, auf den die Kirche erbaut ist. Und die Spalten reichten fast bis zum Abgrund.Joseph Ratzinger hat später nicht nur den Fragen von Autorität und Tradition sowie der diesen zugrunde liegenden Ekklesiologie beträchtliche Aufmerksamkeit gewidmet, sondern auch der grundlegenderen Frage nach dem Wesen der Moraltheologie innerhalb des weiteren Kontextes der Krise der westlichen Zivilisation. Die weitverbreitete Ablehnung von Humanae vitae durch Theologen und der Kompromiß der deutschen Bischöfe in Königstein fanden ihre Rechtfertigung im neuen Zauberwort, das bald mit dem Erbe des Konzils gleichgesetzt wurde: Gewissen.

Das Gewissen ist ein Thema, das Joseph Ratzinger eher in neuerer Zeit aufgegriffen und entfaltet hat. Bereits 1972 hatte er jedoch die Hauptlinien seiner späteren Überlegungen zum Gewissen in einer Rede vor der Reinhold-Schneider- Gesellschaft umrissen. (11) Seine späteren Pflichten als Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre konfrontierten ihn mit moraltheologischen und politischen Auseinandersetzungen, was ihm die Entfaltung der Einsichten erlaubte, die er in seinen früheren dogmatischen und besonders in seinen fundamentaltheologischen Werken gesammelt hatte. Mir scheint, das Gewissen könnte durchaus ein Schlüsselbegriff zum Verständnis sowohl der Persönlichkeit als auch der Theologie dieses Menschen sein. Genauer gesagt ist es die Verbindung von beidem. Hier und in den folgenden Kapiteln werde ich schlicht versuchen kurz anzuzeigen, wie diese Verbindung zu verstehen ist. Gleichzeitig werde ich Ratzingers eigenes Verständnis des Gewissens umreißen, indem ich zuerst die Rolle skizziere, die es in seiner Lehre und seiner Theologie spielt, und dann seine eigene Theologie des Gewissens untersuche. Die Samen seiner Theologie des Gewissens wurden übrigens ganz zu Beginn seiner eigenen theologischen Studien gesät, als er zum ersten Mal den Werken John Henry Newmans begegnete, dank des Umstands nämlich, daß sein Studienpräfekt Alfred Läpple damals seine Doktorarbeit über Newmans Verständnis des Gewissens anfertigte. (12)

Da die Theologie nicht einfach – zumindest nicht für Ratzinger – eine wissenschaftliche Übung ist, sondern eine Suche nach Wahrheit, die personal ist – „Die Theologie ist eine geistliche Wissenschaft“, schrieb er, (13) welche die eigene subjektive Beziehung des Theologen zu Gott und zu den Freunden Gottes einschließt –, mag man es mir nachsehen, daß ich meine eigene Erfahrung zum Ausgangspunkt nehme. Das führt mich zurück nach Münster in Westfalen ins Jahr 1970, als ich zum ersten Mal nach Deutschland kam. Das Öl der Priesterweihe war noch feucht auf meinen Händen, und wegen der Gelegenheit zum Doktoratsstudium an einer deutschen Universität war ich in meinem Herzen aufgeregt.

1. Das Universitätsseminar

In Münster saß ich zuerst zu Füßen Karl Rahners, der damals auf dem Höhepunkt seines Ruhmes stand, um seine Vorlesung über Christologie zu hören und an seinem Oberseminar zum selben Thema teilzunehmen. Das war recht ehrgeizig, da meine Deutschkenntnisse damals wohl nicht ganz dem Rahnerschen Gebrauch der deutschen Sprache gewachsen waren. Alle hatten Ehrfurcht vor ihm, eine Ehrfurcht, die für einige von uns im Seminar langsam in Frustration umschlug. Während der Seminarveranstaltung schritt Professor Rahner auf der einen Seite des vollbesetzten Raumes hin und her, solange ein Student seinen Vortrag hielt, und er war augenscheinlich ungeduldig, bis das Referat des Studenten vorbei war und er anfangen konnte. Der Rest der Seminarveranstaltung war ein Monolog, trotz aller unserer Versuche, mit ihm in eine Art von Diskussion zu treten. Am Ende des Semesters zog ich nach Regensburg.

Meine erste und beständigste Erinnerung an Joseph Ratzinger ist die Weise, wie er seine Seminare und sein Doktorandenkolloquium in Regensburg leitete. Hier stand die Diskussion an erster Stelle. Er hatte eine Fähigkeit, Debatten zu fördern und nervöse Anfänger zu ermutigen, die für mein eigenes Lehren zum Vorbild wurde. Er hörte zu – sorgfältig und gewiß scharf, vor allem aber geduldig – und merkte sich alle springenden Punkte in der Diskussion, die er mit so wenig Intervention wie möglich von seiner Seite laufen ließ. Wenn es passend schien, griff Ratzinger schließlich mit dem Versuch ein, die Hauptlinien des vorherigen Arguments zu erkennen, sie weiterzuentwickeln und ihre theologischen Implikationen aufzuzeigen, bevor er daran ging, damit zusammenhängende Fragen zu stellen. Er beendete die Sitzung, wenn die vorgesehene Zeit vorüber war, wobei er oft ein sachliches Problem bis zur nächsten Sitzung ungelöst ließ, abgesehen davon, daß viele Probleme in diesem Forum nicht gelöst werden konnten. Die Entspanntheit und Ruhe, mit der die verschiedenen Fragen behandelt wurden, die geduldige Aufmerksamkeit Einwänden und Schwierigkeiten gegenüber sowie die Fähigkeit, Probleme ungelöst bleiben zu lassen, förderte weitere Diskussionen in kleinen Gruppen nach der Seminarsitzung – oder führte uns zu weiteren Forschungen in die Bibliothek zurück. Kurz: Die Diskussionen, die er leitete, waren intellektuell anregend.

Die Art, wie er in diesen Sitzungen agierte, offenbart auch Ratzinger als einen Theologen, der stets die Wahrheit sucht und alle Einwände, seien sie historisch oder zeitgenössisch, beachtet, dem menschliche Grenzen bewußt sind und der für eine Einsicht oder eine Belehrung gleich welchen Ursprungs offen ist – selbst für die Ansichten eines jungen Studenten. Ich staunte über die Art und Weise, wie es ihm gelang, einen Standpunkt, den ein nervöser Anfänger schlecht ausgedrückt hatte, einzunehmen und ihn in eigene Worte zu fassen. Damit verblüffte er den Studenten, der das, was er hatte sagen wollen, nun in einer Klarheit und in einer Sprache wiedererkannte, nach der er bestenfalls streben konnte. Es machte nichts, daß der Professor sodann aufzeigte, warum so eine Meinung unhaltbar war: Die eigene These war ernstgenommen worden, und man hatte gute Gründe, die eigene Meinung zu überdenken.

Seine Gabe, einen Raum für einen freien und offenen Austausch von Meinungen zu schaffen, war nicht bloß natürliches Talent. Sie wurzelte in einer Theorie der Erziehung (Theorie in der klassischen Bedeutung von theoria: die artikulierte Wahrnehmung der Wirklichkeit). Einmal bemerkte er beiläufig, die Erziehung „darf nicht versuchen, dem anderen alles abzunehmen; sie muß die Demut haben, nur sein Eigenes zu begleiten und reifen zu helfen“ (Kirche, Ökumene und Politik,
S. 61). Diese Haltung war besonders augenfällig bei Joseph Ratzingers Betreuung seiner Doktoranden und Habilitanden. Er erlaubte jedem von uns, das gewählte Thema mit einer Freiheit zu behandeln, die großzügig, wenn auch nicht immer einfach für den Studenten war, da die damit einhergehende persönliche Verantwortung wirklich anspruchsvoll sein konnte. Diese beiden gerade erwähnten Begriffe – Freiheit und persönliche Verantwortung – stehen in seinen späteren Überlegungen zum Gewissen an herausragender Stelle, wie wir sehen werden. Für den Augenblick sollte das genügen: Freiheit und persönliche Verantwortung sind dem Wesen der Wahrheit immanent, wobei die Wahrheit als die wirkliche Leidenschaft in Ratzingers Leben bezeichnet werden könnte.

2. Das Doktorandenkolloquium

Das Doktorandenkolloquium, das jedesmal etwa 30 Studenten einschließlich der Gastdozenten zählte, fand während des Semesters alle zwei Wochen einmal statt. (14) Es war für den einen oder anderen Doktoranden die Gelegenheit, von seinem bisherigen Forschungsstand zu berichten und seine vorläufige These der (öffentlichen) Prüfung durch den Professor und die Mitdoktoranden zu unterbreiten. Wir trafen uns jeden zweiten Samstag im Regensburger Diözesanseminar – der einst irischen Benediktinerabtei St. Jakob. Jede Sitzung begann mit einer heiligen Messe in Konzelebration, bei der ein Priesterstudent die Predigt hielt, und endete mit dem Mittagessen. Am Ende des Sommersemesters weitete sich dieses Kolloquium zu einer Wochenendsitzung aus, zu der namhafte Theologen wie etwa Karl Barth, Hans Urs von Balthasar, Karl Rahner oder Wolfhart Pannenberg eingeladen wurden, um mit uns ihre neuesten Forschungen zu besprechen oder über ein besonderes Thema zu diskutieren, für das sie bekannt waren (wie etwa Inkulturation oder griechisch-orthodoxe Ekklesiologie). Die jeweilige Örtlichkeit lag entweder in Wohnsitznähe des eingeladenen Gastes (oder der Gäste) oder war ein passendes Haus bei Regensburg, wie etwa ein Kloster, oder eine Tagungsstätte in den Alpen. Stets fanden die ausgedehnten Diskussionen in geselliger Atmosphäre statt, und es blieb nebenher noch Zeit für Spaziergänge durch die einladenden Holzwege des Schwarzwaldes oder des Bayerischen Waldes.

Das Doktorandenkolloquium bestand gewöhnlich aus einer ungefähr gleichen Anzahl deutscher und ausländischer Studenten aus aller Welt. Dadurch wurde das Forum zu einer ganz außerordentlichen Inspirationsquelle. Joseph Ratzingers Führungsweise brachte eine durchgängige Vielfalt hervor. Mit dem gesamten Spektrum theologischer Meinungen, welche die Teilnehmer einnahmen, war eine gewisse Spannung zwischen den eher „progressiven“ und den eher „konservativen“ Mitgliedern unvermeidlich. Aber alle Meinungen wurden geäußert und respektiert, wenngleich sie zum Gegenstand ebenso intensiver wie stets respektvoller Kritik wurden. Ratzingers eigene Haltung war die der Unparteilichkeit. Da die Wahrheit hier unten niemals in ihrem Reinzustand gefunden wird, schließt Objektivität die Mühe ein, zwischen der Wahrheit und ihren vielen Verfälschungen zu unterscheiden. Später bemerkte er einmal: „In allen Irrtümern stecken Wahrheiten“ (Wendezeit für Europa?, S. 78).
Die treibende Kraft seines ganzen theologischen Unterfangens ist, die Wahrheit zu enthüllen, einschließlich der Wahrheiten, die von und in denjenigen großen Irrtümern versteckt waren, mit denen der Glaube auf seinem Weg durch die Geschichte konfrontiert gewesen ist und die dabei halfen, den Glauben zu klären. Das Verstehen solcher Irrtümer kann zu einem tieferen Begreifen der Wahrheit führen, die wir Glaube nennen.

Joseph Ratzingers Herangehensweise garantierte auch, daß diese Kolloquien trotz ihrer wissenschaftlichen Art und der Intensität der Diskussion von einer gewissen Leichtigkeit und gelegentlichen witzigen Einfällen geprägt waren. Nach jeder Sitzung waren entgegengesetzte Positionen vergessen, und menschliche Beziehungen wurden gefestigt. Die gemeinsamen Mahlzeiten und das abendliche Beisammensein bei Wein und Bier waren von Humor geprägt. Man hätte sagen können: ubi Ratzinger, ibi hilaritas (wo Ratzinger, da Frohsinn), und an Anekdoten herrschte kein Mangel. Obwohl er von Natur aus reserviert ist – er zieht es vor, einer guten Geschichte zu lauschen –, ist er bei Gelegenheit selbst ein begnadeter Erzähler.

3. Der Hochschullehrer

Sein Talent als Lehrer – als Pädagoge im griechischen Sinn des Wortes – jedoch übte Joseph Ratzinger hauptsächlich in seinen Vorlesungen aus. Im allgemeinen verfolgten seine Zuhörer mit gebannter Aufmerksamkeit die vorläufigen Erkenntnisse dieses Theologen, der versuchte, dem modernen Geist Gott und die Geheimnisse des Glaubens zu erschließen, und das heißt vom humanum in seiner ganzen Tiefe und seinem Reichtum zu sprechen. Seine Vorlesungen begnügten sich genausowenig wie seine Seminare und Kolloquien mit Analyse und Kritik. Er versuchte auch, eine neue Synthese zu artikulieren (siehe Salz der Erde, S. 69). Seine Erkenntnisse waren immer vorläufig, offen für neue Fragen, neue Einsichten, Verbesserungen früherer Theorien und selbst für Mißverständnisse. Der Theologe hat nicht das letzte Wort. Das ist der Anspruch der Gnosis und vielleicht die Quelle jeder Häresie.

Was soll man dem Vorwurf entgegnen, Ratzinger habe später seine früheren „progressiven“ Ansichten aufgegeben? (15) Abgesehen von der Frage, ob der Gebrauch des Wortes „progressiv“ überhaupt angebracht ist, hat Ratzinger in der Tat seine Theologie entwickelt – und bis zu seiner Wahl zum Papst war er immer noch dabei, seine Einsichten zu entwickeln, wie wir sehen werden. Er selbst hat auch Fehler eingestanden, die er als Theologe gemacht hatte. (16) Und er wäre glücklich über jede weitere Verbesserung, da die universitäre Theologie ihrem Wesen nach erforschend, daher versuchend und offen für Überarbeitung und also Entwicklung ist. Er würde sicherlich Newman zustimmen, der bezüglich der Entwicklung von Ideen sagte: „In einer höheren Welt ist es anders, aber hienieden heißt leben sich wandeln, und vollkommen sein heißt sich oft gewandelt zu haben.“ (17) Allerdings durchzieht all seine Werke eine Konsequenz, die bezeichnender ist als alle einzelnen Veränderungen. Er selbst hat auch darauf hingewiesen, daß, obwohl er in seiner Theologie im Grunde derselbe geblieben ist, die Situation sich geändert hat, in der er sich vorfindet. Das Wesen dieser inneren Konsequenz deutet ein Thema an, das er oft untersucht hat, nämlich die Erziehung.

Er unterstreicht, daß die Erziehung in dem Sinn genommen werden muß, „in dem die griechischen Denker es formuliert haben. Sie muß den Kerker des Positivismus aufbrechen, die Empfänglichkeit des Menschen für die Wahrheit, für Gott und damit die Kraft des Gewissens erwecken“ (Wendezeit für Europa?, S. 40). (18) Der Kontext dieser Aussage war die Aufgabe der Kirche im politischen Bereich. Und in der Tat betrifft sein Verständnis von Erziehung den Kern seiner eigenen Philosophie des Politischen, nach der die Kirche „den Mut zum Leben nach dem Gewissen geben und so den schmalen Grat zwischen Anarchie und Tyrannei gangbar halten“ muß, „der zugleich der schmale Weg des Friedens ist“ (ebd.). In seiner eigenen Theologie ist das überdies der Schlüssel zu seiner Methodik und, so darf man hinzufügen, zu seiner eigenen Freiheit zum Mut als Theologe. Wie wir sehen werden, veranschaulicht Ratzinger, wie Freimut (oder Kühnheit) ein wesentlicher Bestandteil des biblischen Verständnisses von Freiheit ist, welche im menschlichen Herzen die Wahrheit gebiert: „Der Freimut des Apostels besteht darin, in die vom Schein beherrschte Welt hinein die Wahrheit zu sagen, obwohl sie ihm zum ‚Kampf ‘ wird“ (Kirche, Ökumene und Politik, S. 179). Ratzinger ist dieser Kampf nicht fremd.

Später hatte Joseph Ratzinger Gelegenheit, über das Wesen des akademischen Lebens zu sprechen, zu dessen Freiheit der Dialog gehört, der wiederum auf dem Hören beruht. (19) Und diese Freiheit, die statt auf persönlichem Vorteil auf Wahrheit gründet, zielt auf den Kult (die Anbetung), welcher der Freiheit Schutz gewährt. (20) Diese theoria entspricht seiner lebenslangen praxis.

4. Die Wechselwirkung von Wissenschaft und Zeitgeschehen

Zu Beginn jedes Semesters strömten Studenten aller Jahrgangsstufen (und oft aus verschiedenen Fachbereichen) in einen der größeren Vorlesungssäle, um mit gespannter Aufmerksamkeit Joseph Ratzingers Einleitungsvorlesungen zu hören. Diese waren stets bemerkenswert. Welchen Traktat er im Semester auch behandelte (z. B. Schöpfungslehre, Christologie oder Ekklesiologie), immer begann er damit, den Gegenstand des Themas zuerst im gegenwärtigen kulturellen Kontext und dann in den neuesten theologischen Entwicklungen zu verorten, bevor er daran ging, seine eigene originale, gelehrte und hochsystematische Untersuchung des Themas darzubieten. (21) Darin war er ein sehr deutscher Theologe, ein Erbe einer reichen Tradition theologischer (sowohl protestantischer als auch katholischer) Wissenschaft, die an der Universität zu Hause war. Zu diesem Erbe hat er selbst auch viel beigetragen. Die Theologie war gezwungen, sich dem radikalen Denken zu stellen, das hier, an der Universität, zuerst entstanden war und die moderne Welt zu einem großen Teil geprägt hatte. Darum ist Ratzinger in vielerlei Hinsicht ein kontroverser Denker und Schriftsteller. Er ist kontrovers im doppelten Sinn: Erstens sind seine Schriften zum größeren Teil Antworten auf die aktuellen Kontroversen – da theologische Themen gleichzeitig unmittelbar relevant für die jetzige Gesellschaft sind –, während zweitens viele seiner eigenen Thesen wiederum Anlaß für Kontroversen waren. Jede seiner Schriften weist Spuren seines Ringens auf, die Belange seiner wissenschaftlichen Kollegen ernstzunehmen und sich gleichzeitig zu bemühen, Gottes Selbstoffenbarung in Jesus Christus treu zu sein. Das erinnert an den 1. Petrusbrief (3,15), der uns auffordert, Rechenschaft über die Hoffnung abzulegen, die in uns ist. Im Rückblick hat er geschildert, daß es diese Frage nach der „Vernunft unserer Hoffnung“ war, die ihn zu Beginn seines Theologiestudiums entscheidend umtrieb – wie schon die Theologie des Mittelalters. Darin ist er auch dem hl. Augustinus treu – seinem ersten Studienobjekt –, dessen Theologie ein Versuch ist, nicht nur die eigenen Fragen zu beantworten, sondern besonders jene, welche die epochemachenden Ereignisse seiner Zeit aufwarfen, und das machte aus dem Bischof von Hippo in Nordafrika den Vater der westlichen Zivilisation, mit allen Vor- und gewiß auch allen Nachteilen.

Joseph Ratzingers eigenes Leben prägten mehrere epochemachenden Ereignisse wie der Zweite Weltkrieg und seine Nachwirkungen sowie der Zusammenbruch der kommunistischen Welt, den der Fall der Berliner Mauer symbolisiert, die Revolution in der Biotechnologie nicht zu vergessen; all dem sieht er in seinen Schriften ins Auge. Das bedeutsamste Ereignis der jüngeren Kirchengeschichte war zweifellos das Zweite Vatikanische Konzil. Der Kölner Erzbischof Josef Kardinal Frings, einer der einflußreichsten Bischöfe auf dem Konzil, berief Ratzinger (damals 36 und gerade eben nach Bonn berufener Professor) zu seinem Peritus (Experte und theologischer Berater). (22) Zusammen mit Karl Rahner SJ und Hans Küng begann Joseph Ratzinger bald, jenen deutschen Einfluß auszuüben, der dabei half, die aufregend neue und kühne Theologie der Schlußdokumente hervorzubringen.

Andere theologische Schulen – namentlich die französische (mit zum Beispiel Yves Congar OP und Henri de Lubac SJ), belgische (Gérard Philips), polnische (Karol Wojtyla) und amerikanische (John Courtney Murray SJ) – beeinflußten stark die Konzilsberatungen, und das besonders in den Schlußsitzungen, aber es waren die deutschen Liturgiker und Theologen, deren prominenteste Rahner, Ratzinger und Küng waren, die Ralph M. Wiltgen SVD zu dem Titel eines populären Buches inspirierten, das er als Beschreibung dessen, was auf dem Konzil tatsächlich passiert war, geschrieben hatte: Der Rhein fließt in den Tiber. (23)

Nach dem Konzil, so scheint mir, nahm Joseph Ratzinger eine kritischere Einstellung zu dem ein, was er als zentrifugale Kräfte erkannte, die das Konzil unbeabsichtigt ausgelöst hatte. Diese untergruben den eigentlichen Reformschub des Konzils und wurden bald immer radikaler in ihren Forderungen. Concilium, eine internationale, in verschiedenen Sprachen erscheinende Zeitschrift, wurde das Hauptorgan für die Verbreitung dieser radikaleren Interpretation des sogenannten „Geist des Konzils“, der sich durch einen antirömischen Affekt und durch Abweichung von Aspekten der traditionellen Kirchenlehre auszeichnete. (24) Um diesen Denkströmungen entgegenzuwirken, gründete Ratzinger zusammen mit dem großen schweizerischen Theologen Hans Urs von Balthasar, dem französischen Jesuiten Henri de Lubac und anderen eine alternative Zeitschrift: Communio, die ebenfalls weltweit in verschiedenen Sprachen erscheint. Die internationale katholische Zeitschrift erfüllt höchste wissenschaftliche Standards und ist gekennzeichnet von ihrem Ethos des Sentire cum Ecclesia, das heißt Mitdenken mit der Kirche, indem sie nämlich sowohl der Überlieferung als auch dem gegenwärtigen Lehramt der Kirche treu bleibt und gleichzeitig in einen offenen, wenngleich kritischen Dialog mit der Welt tritt.

5. Wissenschaft und Lehramt

Ein zunehmendes pastorales Anliegen, das bereits von Anfang an in Joseph Ratzingers Schriften zu sehen ist, aber nach dem Konzil etwas deutlicher zutage tritt, (25) wird zum Markenzeichen vieler seiner Werke, nachdem er zum Erzbischof von München ernannt sowie, bald darauf, von Papst Paul VI. zum Kardinal kreiert wurde. (26)
Er fand immer noch Zeit zum Forschen und für eher akademische Veröffentlichungen, und er erfreute sich weiterhin des Titels eines Professors für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Katholisch- theologischen Fakultät der Universität Regensburg, um diejenigen Doktoranden (den Verfasser eingeschlossen) zu betreuen, die ihre Dissertationen fertigzustellen hatten. Selbst als Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre wirkte Joseph Kardinal Ratzinger als Berufstheologe, wenngleich mit einer persönlichen, sozusagen nichtoffiziellen Befugnis. In zahlreichen öffentlichen Vorlesungen und Veröffentlichungen während seiner Zeit als Kardinalpräfekt trat er weiterhin auf gleicher Ebene mit anderen Theologen ins Gespräch. Meines Wissens ist er der einzige Kardinalpräfekt, der sich in der neueren Zeit so verhalten hat – und ich vermute, daß er sich auch als Papst weiterhin so verhalten wird. So hat es auch Papst Johannes Paul II. mit der Veröffentlichung einer Anzahl eigener Werke getan.

Es ist darum wichtig, zwischen offiziellen Verlautbarungen, die seine Unterschrift als damaliger Kardinalpräfekt tragen, und seinen eigenen Werken als großer Denker oder Intellektueller innerhalb der europäischen Tradition zu unterscheiden. Verlautbarungen, die von der Kongregation herausgegeben werden, sind Teil des verbindlichen Magisteriums oder Lehramts der Kirche. Aber Thesen, die er als Schriftsteller oder Denker vorlegt, haben eine andere Autorität, nämlich die eines jeden Denkers oder Wissenschaftlers, Philosophen oder Theologen, und zwar die, die auf der Kraft der vorgebrachten Argumente beruht – und auf nichts anderem. Darüber hinaus hat sich sein Denken zu verschiedenen Themen gewandelt und ist gereift (zum Beispiel zur Eschatologie oder zum Opfercharakter der Eucharistie). Verbindliche Verlautbarungen des Magisteriums wie die verschiedenen Instruktionen oder Notifikationen, welche die Kongregation für die Glaubenslehre mit seiner Unterschrift herausgegeben hat, sollten nicht als Aspekte von Ratzingers eigener Theologie betrachtet werden, sondern vielmehr als verbindliche Verlautbarungen des kirchlichen Lehramts. Wir kommen später darauf zurück, daß Ratzingers eigene theologische Überlegungen zu diesen besonderen Themen meiner Vermutung nach als Teil seiner eigenen Vorbereitung auf die Diskussionen entstanden sind, die innerhalb der Kongregation stattfanden, wenn ein besonderes Dokument entworfen wurde, oder als Antwort auf die Kontroversen geschrieben wurden, welche die Dokumente hervorgerufen hatten (wie etwa Dominus Iesus). (27)

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