Aus dem Werk
Jahr des Glaubens 2012/2013
Texte von Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI.
Zum Jahr des Glaubens
Was ist das – der Glaube?
Texte von Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI. zum „Jahr des Glaubens“
Papst Benedikt XVI. hat für das Jahr 2012/2013 ein „Jahr des Glaubens“ ausgerufen, beginnend mit dem 50. Jahrestag der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils am 11. Oktober 2012. Nach früheren Jahren mit einzelnen Themen wie Eucharistie, Maria, Priestertum mag es erstaunen, dass man den Glauben zum Thema eines speziellen Jahres in der Katholischen Kirche macht. Ist der Glaube an Gott, wie er in Israel und endgültig in Jesus offenbart ist, nicht die Grundlage von allem, die Voraussetzung aller anderen Aspekte eines christlichen Lebens? Weil der christliche Glaube nicht ein Gefühl ist oder eine bloße Meinung, sondern eine eigene Lebensweise bedeutet, die von einer existentiellen Beziehung des Menschen, jener zu Gott, geprägt ist, und weil er eine Geschichte hat, die Geschichte des Volkes Israels und der Kirche – darum kann man Glauben „lernen“ und „kennenlernen“. Zum Glauben an Gott als einer Haltung des Vertrauens gehört der Glaube als Kennen einer Geschichte. Beides zu fördern, zu beidem herauszufordern, ist das Ziel des „Jahres des Glaubens“.
Im Laufe von sechzig Jahren als theologischer Lehrer und Priester und in besonderer Weise seit 2005 als Papst Benedikt XVI. hat Joseph Ratzinger viele Male über den Glauben gesprochen, in Predigten, Ansprachen, Büchern und Interviews. Wir wollen im Jahr des Glaubens auf der Homepage der Stiftung Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI. einige seiner Aussagen zum Glauben zugänglich machen. Wir werden zwischen Oktober 2012 und November 2013 in Folge kleine Textzusammenstellungen präsentieren und die Aussagen jeweils unter ein bestimmtes Thema stellen.
Thema 1: Der Glaube ist grundlegend und muss „erwachsen“ werden
Beim Angelusgebet am 8. August 2012 in Castel Gandolfo sagte Benedikt XVI. in einer kurzen Auslegung des Sonntagsevangeliums (Joh 6,24-35) über den Glauben:
Auch wir fragen: „Was müssen wir tun, um das ewige Leben zu haben?“ Und Jesus sagt: „Glaubt an mich.“ Der Glaube ist grundlegend. Es handelt sich hier nicht darum, einer Idee, einem Plan zu folgen, sondern Jesus als einer lebendigen Person zu begegnen, sich völlig von ihm und seinem Evangelium ergreifen zu lassen.
Welche Qualität muß dieser Glaube haben? Von der Ansprache, die Kardinal Joseph Ratzinger als Dekan des Kardinalskollegiums in der Messe zur Papstwahl, am 18. April 2005 im Petersdom in Rom gehalten hat, ist besonders das Stichwort von der „Diktatur des Relativismus“ in Erinnerung geblieben. Die Predigt vor den Kardinälen war eine Auslegung der biblischen Texte, die für diese besondere Eucharistiefeier vorgesehen sind. In seiner Deutung der Lesung aus dem Epheserbrief (Kapitel 4) kommt Kardinal Ratzinger auf die Verse 13-15 zu sprechen:
So sollen wir alle zur Einheit im Glauben und in der Erkenntnis des Sohnes Gottes gelangen, damit wir zum vollkommenen Menschen werden und Christus in seiner vollendeten Gestalt darstellen. Wir sollen nicht mehr unmündige Kinder sein, ein Spiel der Wellen, hin und her getrieben von jedem Widerstreit der Meinungen, dem Betrug der Menschen ausgeliefert, der Verschlagenheit, die in die Irre führt. Wir wollen uns, von der Liebe geleitet, an die Wahrheit halten und in allem wachsen, bis wir ihn erreicht haben. Er, Christus, ist das Haupt.(Eph 4,13-15).
Kardinal Ratzinger sagte dazu:
Wir verweilen nur bei zwei Punkten. Der erste ist der Weg zur „Reife Christi“, wie es etwas vereinfachend im italienischen Text heißt. Dem griechischen Text nach müßten wir genauer von dem „Maß der Fülle Christi“ sprechen, die zu erreichen wir gerufen sind, um wirklich Erwachsene im Glauben zu sein. Wir sollen nicht Kinder im Zustand der Unmündigkeit bleiben. Was heißt, unmündige Kinder im Glauben sein? Der hl. Paulus antwortet: Es bedeutet, „ein Spiel der Wellen zu sein, hin- und hergetrieben von jedem Widerstreit der Meinungen…“ (Eph 4, 14). Eine sehr aktuelle Beschreibung!
Wie viele Glaubensmeinungen haben wir in diesen letzten Jahrzehnten kennengelernt, wie viele ideologische Strömungen, wie viele Denkweisen… Das kleine Boot des Denkens vieler Christen ist nicht selten von diesen Wogen zum Schwanken gebracht, von einem Extrem ins andere geworfen worden: vom Marxismus zum Liberalismus bis hin zum Libertinismus; vom Kollektivismus zum radikalen Individualismus; vom Atheismus zu einem vagen religiösen Mystizismus; vom Agnostizismus zum Synkretismus, und so weiter. Jeden Tag entstehen neue Sekten, und dabei tritt ein, was der hl. Paulus über den Betrug unter den Menschen und über die irreführende Verschlagenheit gesagt hat (vgl. Eph 4,14). Einen klaren Glauben nach dem Credo der Kirche zu haben, wird oft als Fundamentalismus abgestempelt, wohingegen der Relativismus, das sich „vom Windstoß irgendeiner Lehrmeinung Hin-und-hertreiben-lassen“, als die heutzutage einzige zeitgemäße Haltung erscheint. Es entsteht eine Diktatur des Relativismus, die nichts als endgültig anerkennt und als letztes Maß nur das eigene Ich und seine Gelüste gelten läßt.
Wir haben jedoch ein anderes Maß: den Sohn Gottes, den wahren Menschen. Er ist das Maß des wahren Humanismus. „Erwachsen“ ist nicht ein Glaube, der den Wellen der Mode und der letzten Neuheit folgt; erwachsen und reif ist ein Glaube, der tief in der Freundschaft mit Christus verwurzelt ist. Diese Freundschaft macht uns offen gegenüber allem, was gut ist und uns das Kriterium an die Hand gibt, um zwischen wahr und falsch, zwischen Trug und Wahrheit zu unterscheiden. Diesen erwachsenen Glauben müssen wir reifen lassen.
Fünf Jahre später, in einer Eucharistiefeier mit neu ernannten Kardinälen, am 21. November 2010 in Rom, kommt Benedikt XVI. noch einmal auf den „reifen Glauben“ und seine konkrete Bedeutung zu sprechen:
Der erste Dienst des Nachfolgers Petri ist der des Glaubens. Im Neuen Testament wird Petrus zum „Felsen“ der Kirche als Träger des Glaubensbekenntnisses: Das „Wir“ der Kirche beginnt mit dem Namen dessen, der als erster den Glauben an Christus bekannt hat, es beginnt mit seinem Glauben, einem zunächst unreifen und noch „zu menschlichen“ Glauben. Dann jedoch, nach Ostern, ist dieser Glaube reif und in der Lage, Christus bis zur Selbsthingabe nachzufolgen: reif zu glauben, daß Jesus wirklich der König ist und daß er es gerade deshalb ist, weil er am Kreuz geblieben ist und auf diese Weise das Leben für die Sünder hingegeben hat.
Prof. Dr. Achim Buckenmaier © Libreria Editrice Romana