Zum Jahr des Glaubens

Was ist das – der Glaube?

 

Texte von Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI. zum „Jahr des Glaubens“

Im Laufe von sechzig Jahren als theologischer Lehrer und Priester und in besonderer Weise seit 2005 als Papst Benedikt XVI. hat Joseph Ratzinger viele Male über den Glauben gesprochen, in Predigten, Ansprachen, Büchern und Interviews. Wir wollen im Jahr des Glaubens auf der Homepage der Stiftung Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI. einige seiner Aussagen zum Glauben zugänglich machen. Wir werden zwischen Oktober 2012 und November 2013 in Folge kleine Textzusammenstellungen präsentieren und die Aussagen jeweils unter ein bestimmtes Thema stellen.

Thema 2: Was für den Glauben konstitutiv ist

Der folgende Ausschnitt ist der brillante Schluss einer Abhandlung Joseph Ratzingers, der ein Vortrag aus dem Jahr 1973 zugrunde liegt. Die Abhandlung wurde in einer Zeit des theologischen Tumults geschrieben, in der es Versuche gab, die alten Symbole des Christentums zu Gunsten von Kurzformeln aufs Geratewohl über Bord zu werfen, um die grundlegenden Wahrheiten, die den christlichen Glauben seit nahezu zwei Jahrtausenden ausgemacht hatten, zu „aktualisieren“ oder gar aufzuheben. So stellt der Titel von Ratzingers Abhandlung in Form einer einfachen Frage eine Provokation dieser Versuche dar: „Was ist für den christlichen Glauben heute konstitutiv?“ Diese Frage ist heute nicht weniger entscheidend als vor fast vierzig Jahren. Jeder Christ muss sich letztlich dieser fundamentalen Frage stellen: Worin besteht das Wesen des christlichen Glaubens? Die Antwort, die uns Joseph Ratzinger bietet, ist somit heutzutage – im Jahr des Glaubens – genauso relevant, wenn nicht gar noch brisanter. Das Wesen des christlichen Glaubens ist untrennbar mit der Heiligen Dreifaltigkeit, mit Logos und Liebe und mit Communio und Bekehrung verbunden.
Die Erkenntnis dieses wesensmäßigen Zusammenhangs ist nicht bloß theoretischer Natur, sondern führt in das Leben und die Aufgaben der Kirche:

Was also ist „heute“ für den christlichen Glauben konstitutiv? Nun, eben das, was ihn überhaupt konstituiert: das Bekenntnis zum Dreieinigen Gott in der Communio der Kirche, in deren feierndem Gedenken die Mitte der Heilsgeschichte – Tod und Auferstehung des Herrn – Gegenwart ist. Diese Mitte ist, wie man sieht, nicht einfach eine „zeitlose Wahrheit“, die als eine ewige Idee beziehungslos über dem Raum der wechselnden Tatsachen schwebt. Diese Mitte, die an den Akt des „Glaubens an“ gebunden ist, weist den Menschen in den dynamischen Kreis der trinitarischen Liebe ein, die nicht nur Subjekt und Objekt vereint, sondern auch die getrennten Subjekte zueinander bringt, ohne ihnen ihr Eigenes zu nehmen. Weil diese schöpferische Liebe nicht blinder Wille oder pures Gefühl, sondern als Liebe Sinn und als Sinn Logos, schöpferische Vernunft alles Wirklichen ist, darum ist ihr nicht ohne Logik, ohne Gedanke und Wort zu entsprechen. Aber weil die wahre Vernunft nicht in der Abstraktion des Gedankens, sondern in der Reinigung des Herzens zutage tritt, darum ist sie an einen Weg gebunden, an den Weg, den der vorgegangen ist, von dem gesagt werden darf: Er ist der Logos. Dieser Weg heißt Tod und Auferstehung; der trinitarischen Communio entspricht die sakramental-reale Communio des Lebens aus dem Glauben, für die der Mensch in Tod und Auferstehung seiner Bekehrung gereinigt wird.

Sieht man dies, so werden Umfang und Art der heutigen Aufgabe deutlich: Schreibtischtheologie, so Nützliches sie zu schaffen vermag, reicht da gewiss nicht aus. Christliche Lehre ist ursprünglich im Zusammenhang des Katechumenats erwachsen; nur von dort her kann sie sich auch wieder erneuern. Insofern wird (…) die Ausbildung einer zeitgemäßen Form des Katechumenats zu den dringlichsten Aufgaben zu zählen sein, vor denen heute Kirche und Theologie stehen.

Aus: Joseph Ratzinger, Theologische Prinzipienlehre. Bausteine zur Fundamental-
theologie, 27.

© Anthony Valle