Aus dem Werk
Jahr des geweihten Lebens 2014/2015:
Texte von Joseph Ratzinger/ Papst Benedikt XVI.
6. Benedikt XVI. und der hl. Benedikt von Nursia
Die Namenswahl eines Papstes gibt naturgemäß grundlegende Hinweise zur geistlichen Einwurzelung seines Hirtenamts und zu den Schwerpunkten seines Pontifikats. Bereits kurz nach seiner Wahl hat Papst Benedikt XVI. bei der Generalaudienz am 27. April 2005 gesagt, er habe diesen Namen gewählt, um an den Dienst des Friedens, der Versöhnung und der Einheit zu erinnern, um den sich Benedikt XV. besonders in der Zeit des Ersten Weltkriegs bemüht habe.
Zugleich wolle er aber besonders an die Tradition des hl. Benedikt von Nursia für Kirche und Gesellschaft lebendig halten und entfalten, in der die zentrale Stellung Jesu Christi Erbe und Auftrag zugleich sei:
„Der Name Benedikt erinnert auch an die herausragende Gestalt des großen ‚Patriarchen des abendländischen Mönchtums‘, an den hl. Benedikt von Nursia, der zusammen mit den hll. Cyrill und Methodius Patron von Europa ist. Die zunehmende Ausbreitung des von ihm gegründeten Benediktinerordens hatte großen Einfluß auf die Verbreitung des Christentums in ganz Europa. Deshalb wird der hl. Benedikt in Deutschland und besonders in Bayern, meinem Geburtsland, sehr verehrt; er ist ein grundlegender Bezugspunkt für die Einheit Europas und ein nachdrücklicher Hinweis auf die unverzichtbaren christlichen Wurzeln der europäischen Kultur und Zivilisation. Von diesem Vater des abendländischen Mönchstums kennen wir die Empfehlung, die er den Mönchen in seiner Regel hinterlassen hat: ‚Der Liebe zu Christus nichts vorziehen‘ (Regel 72,11; vgl. 4,21).“
(Generalaudienz am 27. April 2005)
Im Lebenszeugnis des hl. Benedikts und in seiner besonderen Hinwendung zu Christus zeige sich besonders deutlich die Heiligkeit, die ein Vorschlag sei, der sich an alle Christen richte und der heute zu einer echten pastoralen Notwendigkeit geworden sei, in der man das Bedürfnis verspüre, Leben und Geschichte in soliden geistlichen Bezugspunkten zu verankern, wie der Papst beim Angelus am 10. Juli 2005 unterstrich. Aus dieser Hinwendung zu Christus komme eine Gestaltung für den eigenen Lebens- und Glaubensweg, dessen Mitte die Suche nach Gott sei, und in deren Folge man sich nicht mit einem mittelmäßigen Leben im Zeichen einer minimalistischen Ethik und einer oberflächlichen Religiosität begnügen könne.
Der Zentralität Jesu Christi für die eigene Existenz und ihrer habituellen Ausformung zumal durch die Impulse Benedikts von Nursia entspricht für Benedikt XVI. dessen bleibend wichtige profunde und behutsame Synthese von Christentum und antiker Welt in Hinblick auf eine zukunftsfähige, humanistische Gesellschaft:
„Auf dem Fundament einer riesenhaften Villa von Kaiser Nero baute er in Subiaco, zusammen mit seinen ersten Gefährten, mehrere Klöster und rief auf diese Weise eine auf den Primat der Liebe zu Christus gründende brüderliche Gemeinschaft ins Leben, in der Gebet und Arbeit zur Ehre Gottes harmonisch abwechselten. Einige Jahre später gab er diesem Projekt in Montecassino seine endgültige Form und hielt es schriftlich fest in der Regel, dem einzigen Werk von ihm, das bis in unsere Zeit erhalten ist. Benedikt, der vor allem das Reich Gottes suchte, säte in die Asche des Römischen Reiches, vielleicht ohne sich dessen bewußt zu sein, den Samen einer neuen Zivilisation, die sich später weiterentwickeln sollte durch eine Verbindung der christlichen Werte mit dem klassischen Erbe einerseits und den germanischen und slawischen Kulturen andererseits.“
(Angelus am 10. Juli 2005)
Die Zentralität Jesu lenke dabei nicht vom Aufbau einer solidarischen Gesellschaft ab, sondern sporne in Verbindung mit dem benediktischen Leitwort ora et labora et lege vielmehr besonders dazu an, wie der Papst bei seiner Predigt auf der Piazza Miranda in Cassino am 24. Mai 2009 betonte. In Ausfaltung dieser drei Prinzipien erklärte er, das Gebet sei der stille Weg, der uns direkt in das Herz Gottes führe, der Atem der Seele, der uns in den Stürmen des Lebens neuen Frieden schenke. Das Engagement für eine Humanisierung der Arbeitswelt unter besonderer Berücksichtigung der Option für die Armen sei gerade heute angesichts vieler Herausforderungen für Jugendliche und Familien, angesichts zunehmender prekärer Beschäftigungsverhältnisse und einer bedrängenden Arbeitslosigkeit besonders wichtig. Schließlich gehöre zur Tradition des benediktinischen Mönchtums auch die Aufmerksamkeit gegenüber der Welt der Kultur und der Erziehung, in der es besonders darum gehe, das ´quaerere Deum´ als Kern europäischer Kultur wachzuhalten und in diesem Geist an Universitäten und Schulen zu wirken, damit sie Werkstätten der Erkenntnis, der Forschung und der Leidenschaft für die Zukunft der neuen Generationen werden.
Die Zukunftsfähigkeit eines solchen synthetischen, vom Ganzen her bestimmten Denkens für Kirche und Gesellschaft und die bleibenden vitalisierenden und friedensstiftenden Leitlinien des hl. Benedikt dafür hat der Papst auch am Abend dieses 24. Mai 2009 in seiner Predigt in der Abtei von Montecassino hervorgehoben:
„Er war ein Meister des zivilen Miteinanders … In seiner Schule konnten die Klöster im Laufe der Jahrhunderte lebendige Zentren des Dialogs, der Begegnung und der heilsamen Verschmelzung verschiedener Völker werden, die eine auf dem Evangelium gründende Kultur des Friedens vereint. Die Mönche haben es verstanden, mit ihrem Wort und Beispiel in der Kunst des Friedens zu unterweisen, indem sie auf konkrete Weise die drei ‚Bande‘ umgesetzt haben, die Benedikt als notwendig dafür angibt, die Einheit des Geistes unter den Menschen zu bewahren: das Kreuz, das das Gesetz Christi ist; das Buch, also das Wissen; den Pflug, der für die Arbeit steht, die Herrschaft über die Materie und über die Zeit. Dank der Aktivität der Klöster, die sich im dreifachen täglichen Einsatz des Gebets, des Studiums und der Arbeit zeigt, haben ganze Völker des europäischen Kontinents eine authentische Befreiung und die Vorzüge eines moralischen, spirituellen und kulturellen Fortschritts erfahren und gelernt, in Kontinuität mit der Vergangenheit zu leben, sich aktiv für das Gemeinwohl einzusetzen und sich Gott und der transzendenten Dimension gegenüber zu öffnen. Beten wir, daß Europa dieses Erbe der christlichen Prinzipien und Ideale stets zu schätzen weiß, das einen immensen kulturellen und geistlichen Reichtum darstellt.“
(Predigt in der Abteikirche von Montecassion am 24. Mai 2009)
Mit seiner Namenswahl hat Benedikt XVI. die Grundlinien seines Pontifikats besonders auch in Hinblick auf das Zeugnis Benedikts von Nursia skizziert: das Wesentliche zu erfassen versuchen, erläutern, leben und so Frieden stiften. Dieses Leitmotiv kennzeichnet nicht nur sein Pontifikat, sondern jede Aufgabe, die er in Lehre und Leitung ausgeübt hat. Die Art und Weise, wie er Verantwortung in der Kirche versteht und ausübt, ist nur vor diesem Hintergrund adäquat zu verstehen.
Benedikt XVI. steht mit seinem Wirken in einer Zeit, die von zahlreichen Veränderungen in Kirche und Gesellschaft geprägt ist, sozusagen in einer apostolischen Sukzession mit Benedikt von Nursia. Beide verbindet das Bemühen um eine wahrhaftige Welt, die durch eine Ordnung des Denkens, des Glaubens und der Gemeinschaft von der Würde der Person und ihrer Berufung her nachhaltig und positiv mitgestaltet ist.
Zusammenfassend sei auf die Würdigung hingewiesen, die Jan Roß und Patrik Schwarz 2009 in „Die Zeit“ über Benedikt XVI. geschrieben haben, die sein Charisma profund ausdrückt und in der besonders auch auf sein Wirken unter besonderer Einbeziehung des Erbes der Antike und der Heiligen hingewiesen wird:
„An der Spitze der katholischen Kirche steht heute ein Intellektueller, der zu den Schlüsselthemen der Gegenwart nicht weniger zu sagen hat als weltliche Köpfe wie Habermas oder Rushdie. Der mit dem Christentum einen dritten Weg zwischen Fundamentalismus und Relativismus sucht – also ungefähr das, wonach jeder denkende Zeitgenosse sich sehnt. … Benedikt ist eine kostbare, gefährdete Spätblüte Europas, sein Pontifikat so etwas wie eine Arche für die Schätze des Abendlandes, vom Latein bis zu den Heiligen. Ein Mann, der in Worten, die nicht aus Plastik sind, die großen Fragen stellen kann: Gibt es Gott? Wie sollen wir leben? Was ist der Mensch?“
(Nr. 20/7. Mai 2009)