Zum Priesterjahr 2009/2010

Papst Benedikt XVI. antwortet Priestern

Thema 8: Krankheit und Leiden

Während einer der Begegnungen mit Priestern wurde Papst Benedikt XVI. auch auf das Thema Krankheit und Leiden angesprochen. Beim Treffen mit Priestern, Diakonen und Seminaristen aus Südtirol am 6. August 2008 fragte ein jüngerer Priester, der an Multipler Sklerose erkrankt ist: „Stark beeindruckt hat mich die Gestalt Johannes Pauls II., vor allem in den letzten Jahren seines Pontifikats, als er vor der ganzen Welt mit Mut und Demut seine menschliche Schwachheit ertrug. Welche Worte können Sie – angesichts Ihrer Nähe zu ihrem geliebten Vorgänger und aufgrund Ihrer persönlichen Erfahrung – mir und uns allen sagen, um den Priestern, den alten Menschen und den Kranken dabei zu helfen, ihren priesterlichen Dienst im Presbyterium und in der christlichen Gemeinschaft gut und fruchtbringend zu leben?“ Papst Benedikt XVI. antwortete ihm:

Danke, Hochwürden. Nun, auch ich würde sagen, daß für mich die beiden Abschnitte des Pontifikats von Papst Johannes Paul II. gleichermaßen bedeutend sind. Der erste Abschnitt, in dem wir ihn als Giganten des Glaubens erlebt haben: mit unglaublichem Mut, außergewöhnlicher Kraft, wahrer Freude am Glauben und großer Weitsicht hat er die Botschaft des Evangeliums bis an die Enden der Erde getragen. Er hat mit allen gesprochen, hat neue Wege eröffnet mit den kirchlichen Bewegungen, durch den interreligiösen Dialog, die ökumenischen Treffen, das vertiefte Hören des Wortes Gottes, ja eigentlich durch alles … und nicht zuletzt durch seine Liebe zur heiligen Liturgie. Wir können in der Tat sagen, daß er durch seinen Glauben zwar nicht die Mauern von Jericho, aber die Mauern zwischen zwei Welten eingerissen hat. Dieses Zeugnis bleibt unvergeßlich und strahlt sein Licht auf das neue Jahrtausend aus.

Ich muß allerdings anmerken, daß auch für mich die letzten Jahre seines Pontifikats nicht weniger bedeutend waren gerade aufgrund dieses demütigen Zeugnisses seines Leidens. Er hat vor unseren Augen das Kreuz des Herrn getragen und hat so das Wort des Herrn verwirklicht: „Folgt mir nach, indem ihr mit mir und so wie ich das Kreuz tragt!“ Welche Demut, welche Geduld, mit der er den Verfall seines Körpers und die zunehmende Unfähigkeit zu sprechen angenommen hat – er, der doch ein Meister des Wortes war! Auf diese Weise hat er, wie mir scheint, die tiefe Wahrheit sichtbar gemacht, daß der Herr uns durch sein Kreuz erlöst hat, durch sein Leiden als äußersten Akt seiner Liebe. Er hat uns gezeigt, daß das Leid nicht bloß ein Nein, etwas Negatives ist, nicht das Fehlen von etwas, sondern eine positive Wirklichkeit. Das Leid, das wir in Liebe zu Christus und in Liebe zu Gott und den anderen annehmen, ist eine heilbringende Kraft, eine Kraft der Liebe, und es ist nicht weniger machtvoll als die großen Taten, die er im ersten Abschnitt seines Pontifikats vollbracht hat. Er hat uns eine neue Liebe zu den Leidenden vermittelt und uns aufgezeigt, was es heißt, daß wir „im Kreuz und durch das Kreuz gerettet wurden“. Auch im Leben des Herrn lassen sich diese beiden Aspekte feststellen. Im ersten Abschnitt, wo er die Freude des Reiches Gottes verkündet und den Menschen seine Gaben überbringt, und dann im zweiten Abschnitt, wo er eintaucht in die Passion bis hin zu seinem letzten Schrei am Kreuz. Auf diese Weise hat er uns gelehrt, wer Gott ist: daß Gott die Liebe ist und daß er uns durch die Annahme unseres menschlichen Leides an die Hand nimmt. Er nimmt uns so in seine Liebe hinein, und allein die Liebe ist das Bad der Erlösung, der Reinigung und der Wiedergeburt.

Es scheint mir daher, daß wir alle – in einer Welt, die voll ist von Aktivismus und Jugendlichkeit, von Jung-, Stark- und Schönsein, vom Streben, große Dinge zu tun – die Wahrheit über die Liebe lernen müssen, die das Leid auf sich nimmt und die auf eben diese Weise den Menschen erlöst und ihn vereint mit Gott, der die Liebe ist. Ich möchte daher allen danken, die das Leid annehmen und mit dem Herrn leiden. Und ich möchte uns alle ermutigen, ein offenes Herz für die Leidenden und für die alten Menschen zu haben, und zu erkennen, daß gerade ihr Leid eine Quelle der Erneuerung für die Menschheit ist, daß es in uns Liebe erweckt und uns mit dem Herrn vereint. Doch letztlich fällt das Leiden immer schwer. Ich erinnere mich an die Schwester von Kardinal Mayer: Sie war sehr krank, und als sie ungeduldig wurde, sagte er ihr: „Schau, jetzt bist du mit dem Herrn.“ Und sie gab zur Antwort: „Du hast leicht reden, du bist ja gesund, aber ich muß leiden.“ Es ist wahr, in echtem Leid fällt es immer schwer, sich wirklich mit dem Herrn zu verbinden und in dieser Bereitschaft zur Einheit mit dem leidenden Herrn zu bleiben. Laßt uns daher für alle Leidenden beten und alles in unserer Macht Stehende tun, um ihnen zu helfen. Zeigen wir ihnen unsere Dankbarkeit für ihr Leiden und stehen wir ihnen so weit wie möglich bei mit jenem großen Respekt vor dem menschlichen Leben und gerade vor dem leiderfüllten Leben bis zum Ende. Dies ist eine grundlegende Botschaft des Christentums, die in der Theologie des Kreuzes wurzelt: in Schmerz und Leid ist die Liebe Christi gegenwärtig, und Schmerz und Leid fordern uns heraus, uns mit seinem Leiden zu vereinen. Wir dürfen die Leidenden nicht nur mit Worten lieben, sondern mit unserem ganzen Tun und Engagement. Mir scheint, daß wir nur so wirkliche Christen sind. In meiner Enzyklika Spe salvi habe ich geschrieben, daß die Fähigkeit, das Leid und die Leidenden anzunehmen, Maßstab der Menschlichkeit ist, die wir in uns tragen. Wo diese Fähigkeit fehlt, wird der Mensch verkürzt und eingeschränkt. Laßt uns daher den Herrn bitten, er möge uns in unserem Leid helfen und uns dazu führen, allen Leidenden dieser Welt nahe zu sein.


Prof. Dr. Achim Buckenmaier © Libreria Editrice Romana