Aus: Weggemeinschaft des Glaubens

Die Schuld der Kirche

Für das Verständnis des Dokuments mag es nützlich sein, zunächst einmal dessen Autor vorzustellen. Dieser Autor ist die Internationale Theologenkommission, die 1969 von Papst Paul VI. aufgrund eines Vorschlages der Bischofssynode gegründet wurde. Die Bischöfe hatten damals den Wunsch zum Ausdruck gebracht, daß die beim Konzil so fruchtbare Zusammenarbeit zwischen dem Lehramt und den Theologen in aller Welt weitergehen und am besten eine institutionelle Form erhalten solle, die dann in Zukunft als Instrument dieser ständigen Zusammenarbeit fungieren könne. Der Papst hat diesen Vorschlag aufgegriffen, und so ist die Internationale Theologenkommission entstanden. Sie besteht aus 30 Mitgliedern, die von den verschiedenen Bischofskonferenzen vorgeschlagen und dann vom Papst für jeweils fünf Jahre ernannt werden; sie können für weitere fünf Jahre in ihrem Amt bestätigt werden. Derzeit befinden wir uns im sechsten Fünfjahreszeitraum dieser Kommission, die Theologen aus allen Teilen der Welt zusammenführt. Diese Theologen genießen das Vertrauen ihrer Bischöfe und spiegeln so ein wenig die internationale Theologengemeinschaft und deren Denken in einem bestimmten Moment wider. Die Kommission ist frei in ihrem Forschen. Ihr Vorsitzender ist satzungsgemäß der Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre, aber als Moderator, der für einen geordneten Ablauf der Arbeit zu sorgen und die Kommission nach außen zu vertreten hat. Die Kommission wählt in der Regel selbst die Aufgaben aus, die sie bearbeiten will. Daneben besteht aber auch die Möglichkeit, daß Organe des Heiligen Stuhls (gegebenenfalls auf Anregung von Bischöfen) sie einladen, ein bestimmtes Thema zu bearbeiten, das dem Lehramt in einer gegebenen Situation wichtig ist.

Was nun unser Thema angeht, so war durch das Apostolische Schreiben „Tertio millennio adveniente“ der Wunsch des Papstes bekannt, daß das Heilige Jahr nicht nur ein besonderer Anlaß individueller Buße sein solle, sondern auch für die Kirche eine „Reinigung des Gedächtnisses“ bedeuten müsse, in der sie sich auf die Schuld der Vergangenheit besinnen sollte, die auf der Kirchengeschichte lastet. Damit war der Theologie ein Thema gestellt, das in dieser Form neu war: Die vielfältige Schuld, von der uns die Kirchengeschichte erzählt – wem ist sie zuzurechnen? Kann etwa die Kirche selbst schuldig werden? Welche Art von Bekenntnis, Buße, Vergebung ist da möglich? Ich empfand die vom Papst vorgetragenen Gedanken als eine wichtige Herausforderung an die Theologie; im Gespräch hatte ich gesehen, daß auch die Mitglieder der Theologenkommission ähnlich dachten. Deshalb habe ich den Vorschlag gemacht, gemeinsam das Problem zu bedenken, der von den Mitgliedern der Kommission sofort positiv aufgegriffen wurde. Das Neue an dem Gedanken des Papstes und an der von ihm geplanten Bußliturgie der Kirche stellte die Theologen vor die Aufgabe, die theologische Bedeutung eines solchen Vorgangs zu bedenken, in der Geschichte des Glaubens nach seinen inneren Zusammenhängen zu suchen und damit auch seine Bedeutung für Glauben und Leben der Kirche heute und morgen zu klären.

Auf diese Weise ist das vorliegende Dokument entstanden. Ich möchte hier nicht den Text des kleinen Buches analysieren, den P. Cottier etwas näher erläutert. Stattdessen möchte ich meine eigenen Überlegungen zu diesem Thema kurz skizzieren, zu denen mich die Debatten der Theologenkommission inspiriert haben, bei denen ich den Vorsitz führte.

Mir schien – und ich fühle mich durch die Arbeit der Theologen bestätigt –, daß die Geste des Papstes, so wie sie in der Bußliturgie in Sankt Peter gestaltet wurde, neu ist und dennoch in einer tiefen Kontinuität mit der Geschichte der Kirche steht – mit ihrem Selbstverständnis, mit ihrer Antwort auf das Handeln Gottes. Andere werden beim Umgang mit der Geschichte des Glaubens andere Vorgaben finden; mir selbst sind drei Stränge von Gedanken und Haltungen bewußt geworden, die das Motiv von Anfang an im Glauben und im Leben der Kirche ausdrückten.

In den Zeitungen spricht man zu Recht vom „Mea culpa“des Papstes im Namen der Kirche. Damit zitiert man ein liturgisches Gebet, das „Confiteor“,das jeden Tag in die Feier der Liturgie einführt. Der Priester, der Papst, die Laien, alle bekennen mit ihrem Ich – jeder einzeln und alle gemeinsam vor Gott und in Gegenwart der Brüder und Schwestern – daß sie gesündigt, Schuld, ja sogar übergroße Schuld auf sich geladen haben. Mir scheinen zwei Aspekte dieses Beginns der heiligen Liturgie wichtig. Einerseits spricht man in der Ichform; „Ich“ habe gesündigt; ich bekenne nicht die Sünde der anderen, ich bekenne nicht anonyme Sünden eines Kollektivs, ich bekenne mit meinem „Ich“. Aber gleichzeitig sind es alle Beter, die mit ihrem „Ich“ sagen, „ich habe gesündigt“. Die gesamte lebendige Kirche sagt in ihren lebenden Mitgliedern dies: „Ich habe gesündigt“. So kommt in dieser Gemeinschaft des Bekennens jenes Bild der Kirche zum Ausdruck, das vom II. Vatikanischen Konzil in Lumen gentium I 8 formuliert wurde: „Ecclesia … sancta simul et semper purificanda, poenitentiam et renovationem continuo prosequitur“: Die Kirche ist zugleich heilig und stets der Reinigung bedürftig; sie geht immerfort den Weg der Buße und der Erneuerung. Dieses vom II. Vaticanum formulierte und täglich in der Liturgie konkret vollzogene Bild der Kirche spiegelt seinerseits die Gleichnisse des Evangeliums vom Unkraut unter dem Weizen, vom Fischnetz, das alle Arten von Fischen fängt, gute und schlechte, wider. Die Kirche hat in allen Generationen diese Gleichnisse als einen vom Herrn vorweggenommenen Ausdruck ihrer eigenen Erfahrungen erkannt. Immer wieder gab es Tendenzen, eine Kirche der ganz Reinen zu bilden, eine Kirche, in der es keine Sünder geben dürfe. Gegen solche durchaus verständlichen Programme stand die Erinnerung daran, daß der Herr gekommen ist, die Sünder zu suchen und daß er sich an ihren Tisch gesetzt hat. Die Kirche wußte, daß sich diese Tischgemeinschaft Christi mit den Sündern in ihr ständig fortsetzt und daß gerade dies unser aller Hoffnung ist. Die Kirche Jesu Christi kann sich nicht von den Sündern absondern; sie muß es annehmen, daß in ihrem Netz alle Arten von Fischen sind und daß auf ihrem Acker mit dem Weizen immer auch das Unkraut wächst.

Dreierlei ist in diesem ersten Überlegungsgang wichtig. Das Subjekt des Bekennens ist das Ich – ich beichte nicht die Sünden der anderen, sondern die meinigen. Aber – zweitens – ich bekenne meine Sünden in der Gemeinschaft mit den anderen, vor ihnen und vor Gott. Und schließlich: Ich bitte Gott um Vergebung, denn nur er kann sie schenken. Aber ich bitte die Brüder und Schwestern, dabei für mich zu beten, und suche so in der Vergebung Gottes auch die Versöhnung mit den Brüdern und Schwestern.

Der zweite Strang von Gedanken und Haltungen, der mir vor Augen steht, sind die Bußpsalmen des Alten Testaments: Sie sind zunächst Gebete Israels, in denen das Volk Gottes in der Tiefe seiner Leiden und seines Elends die Sünden seiner Geschichte bekennt, die Sünden der Väter, die ständige Rebellion vom Anfang der Geschichte bis heute. Es gibt eine nicht zu übersehende Ähnlichkeit zwischen diesen durchaus liturgisch verankerten Bußpsalmen Israels und der Bußliturgie, die der Papst am 12. März in Sankt Peter zu Rom mit der Kirche und für die Kirche gefeiert hat. Denn auch da ist eine Geschichte von Sünden der Väter betend vor Gott hingestellt worden. Wenn Israel in den Psalmen neben und mit der Geschichte der Rettungstaten Gottes immer wieder auch die Geschichte des eigenen Versagens bedacht hat, so nicht, um die anderen, die Väter, zu verurteilen, sondern um in der Geschichte der Sünden die eigene Situation zu erkennen und sich auf die Bekehrung und die Verzeihung vorzubereiten. Die Christen haben stets mit Israel diese Psalmen gebetet und haben so dasselbe Bewußtsein erneuert. Das bedeutet: Auch unsere Geschichte ist eine solche, wie sie die Psalmen beschreiben – eine Geschichte der Rebellion, der Sünden, der Mängel. Und auch wir bekennen dies, nicht um die anderen zu verurteilen, nicht um uns zum Richter über die anderen zu machen, sondern um uns selbst zu erkennen und uns für die Reinigung des Gedächtnisses und für unsere Erneuerung zu öffnen. Man könnte viele Beispiele dieser Haltung in der Geschichte der Kirche auflisten. Ich möchte hier nur eines zitieren: Maximus der Bekenner (ca. 580–662) hat in seinem Liber asceticus (Anleitung zum christlichen Leben) die Selbstanklagen des Alten Testaments auf uns, die Christen, angewandt. Nur ein paar Beispiele: „Deshalb klagt der große Jesaja laut über uns …“ – „Uns beklagte Jeremia … Von uns höre ich auch Mose sprechen … Auch Micha klagt … Auch der Psalmist spricht über uns ähnlich: Rette mich, Herr, weil der Heilige fehlt …“ – „Darum wehe uns, denn wir sind in die äußersten Übel geraten … Sind wir, die wir jetzt den großen Namen Christi tragen, denn nicht schlimmer als die Juden? Keiner soll sich entrüsten, wenn er die Wahrheit hört …“ – „Darum hat jede fromme Übung, wenn ihr die Liebe fehlt, mit Gott nichts zu tun“. (1)

Ein drittes Modell, auf dem die Bußliturgie des 12. März aufbauen konnte, sehe ich in den prophetischen Ermahnungen der Apokalypse gegenüber den sieben Kirchen – Ermahnungen, die von Anfang an Beispiele der für die Ortskirchen aller Zeiten und damit für die Universalkirche notwendigen prophetischen Ermahnung gewesen sind. Dieser im Neuen Testament selbst vorgegebene Typus prophetischer Zurechtweisung ist in der Geschichte der Kirche in den verschiedensten Formen immer wieder aufgegriffen worden. Die Kritik an der Hierarchie, die so große Theologen und Kirchenlehrer wie Albertus Magnus und Bonaventura geübt haben, ist an Schärfe kaum zu übertreffen. Ein beeindruckendes Beispiel für dieses Ringen mit den Sünden in der Kirche bietet uns Dante im 32. Gesang des Purgatorio: Er sieht, wie zuerst ein Fuchs sich in den Wagen der Kirche schleicht, dann – Bild der konstantinischen Schenkung – ein Adler, schließlich ein Drache. Die Machtausübung Philipps des Schönen von Frankreich über die Kirche schildert das erschreckende Bild einer Hure im heiligen Wagen. „An ihrer Seite sah ich einen Riesen … Und hin und wieder küßten sich die beiden. Doch als auf mich ihr lüstern schweifend Schauen sich richtete, da geißelte der wilde Geliebte sie vom Haupt bis an die Sohlen.“ Das Dokument der Theologenkommission zitiert das Schuldbekenntnis Hadrians VI. In neuerer Zeit könnten wir etwa an die „fünf Wunden der heiligen Kirche“ von Rosmini denken.

Wenn man diese ständige Geschichte des „Mea culpa“ in der Kirche sieht, kann man sich fragen – und auch ich habe mir diese Frage gestellt: Worin liegt eigentlich die Überraschung, was ist das Neue dieses heiligen Jahres? Nach meinem Eindruck, den ich hier zur Debatte stellen möchte, hat sich zu Beginn der Neuzeit etwas verändert, als der Protestantismus eine neue Geschichtsschreibung der Kirche geschaffen hat mit dem Ziel, zu zeigen, daß die katholische Kirche nicht nur von Sünden befleckt ist, wie sie immer wußte und sagte, sondern daß sie vollständig korrupt und zerstört und nicht mehr die Kirche Christi, sondern im Gegenteil ein Instrument des Antichristen geworden sei. Mithin sei sie – da von Grund auf verdorben – nicht mehr Kirche, sondern Antikirche. In diesem Moment hatte sich offenbar etwas verändert. Notwendigerweise entstand nun eine katholische Geschichtsschreibung, die diesem Bild entgegengesetzt und deren Ziel es war zu zeigen, daß die katholische Kirche – trotz der nicht zu leugnenden und mehr als offensichtlichen Sünden – dennoch die Kirche Christi und stets die Kirche der Heiligen, die heilige Kirche bleibt. In diesem Augenblick der Gegenüberstellung von zwei Arten von Geschichtsschreibung, in der die katholische sich zur Apologetik gezwungen sah, um zu zeigen, daß trotz allem die Heiligkeit in der Kirche geblieben ist, wird notwendigerweise die Stimme des Sündenbekenntnisses in der Kirche leiser.

Die Lage erschwerte sich weiter im Zuge der Aufklärung; denken wir etwa an Voltaire: «Écrasez l’Infâme!» Die Anklagen wachsen schließlich bis hin zu Nietzsche, wo die Kirche nicht mehr nur als Verfehlung des Willens Christi, sondern als das große Übel der Menschheit überhaupt erscheint, als die Entfremdung des Menschen von sich selbst, von der er endlich befreit werden müsse, um wieder er selber zu werden. Das gleiche Motiv sehen wir in anderer Durchführung im Marxismus. Auch für ihn gilt, daß die Kirche, das Christentum, den Menschen von sich selbst entfremdet, die Unterdrückung sanktioniert und dem Fortschritt im Wege steht. Seit der Aufklärung sind manche betrüblichen Realitäten der Geschichte zu wahren Mythen hochgesteigert worden: Kreuzzüge, Inquisition, Hexenverbrennung sind weit über die geschichtlichen Tatsachen hinaus zu mythischen Schreckbildern geworden, die das Nein zur Kirche nicht nur rechtfertigen, sondern erfordern. Jeder Versuch, die Geschichte ein wenig differenzierter zu sehen, die unterschiedlichen Verantwortungen deutlicher voneinander abzuheben, die Komplexität der Phänomene und die unterschiedlichen Bemühungen der einzelnen Verantwortlichen zu sehen, wird bereits als Konzession an die Unmenschlichkeit verurteilt. Wo betrübliche Fakten zu einer Art von negativem Glaubensbekenntnis werden und nicht mehr im Kontext unterschiedlicher Kräfte und Wirkungen gesehen werden können, da wird das Einstimmen in das Bekenntnis der Schuld für die Gläubigen erschwert: Nun mußte man sich darum mühen, sichtbar zu machen, daß die Kirche trotz allem ein Instrument des Heils, des Guten und nicht der Zerstörung des Menschen gewesen und geblieben ist.

Heute befinden wir uns in einer neuen Situation, in der die Kirche mit größerer Freiheit zum Bekenntnis der Sünden zurückkehren und so auch die anderen zum Bekennen und somit zu einer tiefen Versöhnung einladen kann. Wir haben die großen Zerstörungen gesehen, die von den Atheismen geschaffen wurden, die eine neue Stufe des Antihumanismus, der Zerstörung des Menschen hervorgebracht haben. Die Grausamkeiten, die die atheistischen Systeme unseres Jahrhunderts erfunden und praktiziert haben, stellen alles Bisherige in den Schatten; wir können sie nur mit Schaudern wahrnehmen. Das Nein zur Kirche, das Nein zu Gott und zu Christus rettet nicht; im Gegenteil – wir sehen, welche furchtbaren Möglichkeiten es im Menschen entbindet. Für alle ist heute die Frage neu gestellt: Wo sind wir? Was rettet uns? So können wir mit einer neuen Offenheit Schuld bekennen und zugleich mit einem neuen Vertrauen das Geschenk des Herrn erkennen, das er uns durch die Kirche gibt und das alle Sünden in ihr nie zerstören konnten und nie zerstören werden.

Zum Abschluß möchte ich noch ganz kurz drei Kriterien für einen rechten Umgang mit der Schuld der Kirche und für eine rechte Weise der Reinigung des Gedächtnisses formulieren.

Das erste Kriterium: Die Kirche der Gegenwart kann sich nicht als ein Tribunal darstellen, das über vergangene Generationen urteilt – auch wenn notwendigerweise im „Mea culpa“ Sünden der Vergangenheit impliziert sind; denn ohne die Sünden der Vergangenheit können wir die Situation von heute nicht verstehen. Die Kirche kann und darf nicht mit Arroganz in der Gegenwart leben, sich von den Sünden ausgenommen fühlen und als Quelle des Bösen die Sünden der anderen, der Vergangenheit, ausmachen. Das Bekennen der Sünde der anderen befreit nicht vom Anerkennen der Sünden der Gegenwart. Es hilft vielmehr, das eigene Gewissen zu wecken und den Weg zur Bekehrung für uns alle zu öffnen.

Zweites Kriterium: Bekennen bedeutet nach Augustinus: „die Wahrheit tun“.(2) Daher verlangt es vor allem die Disziplin und die Demut der Wahrheit, all das in der Kirche begangene Böse nicht zu leugnen, aber sich auch nicht in einer falschen Bescheidenheit Sünden zuzuschreiben, die nicht begangen wurden oder über die keine historische Sicherheit besteht.

Drittes Kriterium: Noch einmal gemäß Augustinus müssen wir sagen, daß eine christliche „Confessio peccati“ immer mit einer „Confessio laudis“ Hand in Hand gehen muß. Bei einer aufrichtigen Gewissensprüfung sehen wir, daß wir unsererseits viel Böses in allen Generationen getan haben. Aber wir sehen auch, daß Gott trotz unserer Sünden die Kirche stets reinigt und erneuert und große Dinge zerbrechlichen Gefäßen anvertraut. Und wer könnte verkennen, wieviel Gutes zum Beispiel in den beiden letzten Jahrhunderten, die durch die Grausamkeit der Atheismen verwüstet wurden, von neuen religiösen Kongregationen, von Laienbewegungen, im Bildungsbereich, im Sozialsektor, im Einsatz für die Schwachen, Kranken, Leidenden und Armen geleistet wurde? Es wäre ein Mangel an Aufrichtigkeit, nur unser Böses zu sehen und nicht das Gute, das Gott durch die Gläubigen – trotz ihrer Sünden – gewirkt hat. Die Kirchenväter haben dieses Paradox von Schuld und Gnade in den Worten der Braut des Hohenlieds zusammengefaßt gefunden: „Nigra sum sed formosa“ (Hld 1,4). „Ich bin durch die Sünden befleckt, doch schön“ – schön durch Deine Gnade und durch das, was Du getan hast. Die Kirche kann offen und vertrauensvoll die Sünden der Vergangenheit und der Gegenwart bekennen in dem Wissen, daß das Böse sie niemals vollständig zerstören wird; in dem Wissen, daß der Herr stärker ist als unsere Sünden und seine Kirche immer wieder erneuert, damit sie das Werkzeug der guten Werke Gottes in unserer Welt bleibt.
© SANKT ULRICH VERLAG GmbH AUGSBURG

Aus: Weggemeinschaft des Glaubens. Kirche als Communio. Festgabe zum 75. Geburtstag, hrsg. vom Schülerkreis, Augsburg 2002, Seite 239-247.