Jahresgedächtnisgottesdienst

Am 31.12.2023, dem ersten Jahrtag des Heimgangs von Papst Benedikt, zelebrierte Prof. Achim Buckenmaier in der Wallfahrtskirche „Mutter mit dem gütigen Herzen“ in Waghäusel eine Heilige Messe, die von Radio Horeb übertragen wurde. Der festliche Gottesdienst, musikalisch gestaltet vom „Ensemble Biblische Lieder“, wurde mitgetragen von der Klostergemeinschaft der „Brüder vom gemeinsamen Leben“ in der unmittelbaren Nach­barschaft. In seiner Predigt zum Fest der Heiligen Familie erinnerte Prof. Buckenmaier besonders an die tiefe Verbundenheit von Papst Benedikt mit dem Heiligen Josef, der die Brücke zu uns heute bildet: „Wie Maria und Josef hat Benedikt XVI. die natürliche Familie als Ort der Glaubensweitergabe gesehen und zugleich geweitet auf die größere, neue Familie Gottes hin, auf die ‚Brüder und Schwestern‘, die Gottes Wort hören und tun.“

Predigt zum Nachhören – Link zum Podcast auf Radio Horeb

Predigt im Wortlaut:

Liebe Schwestern und Brüder,

die Kirche begeht heute ein „Fest der Heiligen Familie“, nicht irgendeiner Familie, auch nicht „der Familie“ im Allgemeinen. Wenn es eine, wenn es die „heilige Familie“ ist, was ist das dann für eine Familie gewesen?

Der Evangelist Lukas ist in seiner Antwort ganz eindeutig und klar. Die „heilige Familie“ ist eine jüdische Familie, nichts anderes. Fünfmal fügt er das Wort Gesetz ein: Was Maria und Josef tun, tun sie „gemäß dem Gesetz“, gemäß der Tora, die Gott durch Mose Israel übergeben hat. Es sind „die Tage der vom Gesetz des Mose
vorgeschriebenen Reinigung“. Sie bringen das Kind Jesus nach Jerusalem „wie im Gesetz des Herrn geschrieben ist“. Sie bringen Opfer dar „wie es das Gesetz des Herrn vorschreibt“. Sie tun „mit ihm, was nach dem Gesetz üblich war“. Und am Ende heißt es, dass sie alles getan haben „was das Gesetz des Herrn vorschreibt“.

Der hl. Lukas besteht darauf, dass diese besondere Familie eine toratreue Familie ist. Das ist ein wichtiger Hinweis, denn immer wieder waren wir Christen versucht, das Judentum als eine kalte Gesetzesreligion herabzusetzen, die Jesus verlassen und ihr ein Evangelium der Liebe entgegengestellt hätte. Immer wieder waren (und sind wir vielleicht) versucht, Gesetz und Evangelium in einen Gegensatz zu bringen.

Papst Benedikt XVI. hat uns in einer Deutung der Gestalt des Heiligen Josef eine andere Sicht gelehrt, die Sicht, die auch Lukas hat: Josef ist das Bild des alttestamentlich Gerechten – „Josef, der gerecht war“ –, der so lebt, wie es der erste Psalm bereits beschreibt: „Selig der Mann, der (…) sein Gefallen hat am Gesetz des HERRN.“ (Ps 1). Josef lebte, wie Benedikt sagt, „das Gesetz als Evangelium“. (Joseph Ratzinger Benedikt XVI., Jesus von Nazareth. Die Kindheitsgeschichten, Freiburg u.a. 2012, S. 50)

Dieses Gefallen an der Weisung, an der Tora, engt die Familie in Nazareth nicht ein. Im Gegenteil: Die ganze Geschichte, die Gott mit Israel eingegangen ist seit Abraham, in der sich „der Herr“ zeigt, mitteilt, macht Josef und Maria erst fähig, das Neue, das Unerwartete, menschlich Unglaubliche aufzunehmen und anzunehmen. Jesus, so erzählen es die Evangelien, geht an jedem Schabbat in die Synagoge. Der junge „Zimmermann“ (Mk 6,3) kennt und deutet die Heiligen Schriften. Er kennt die Gebote auswendig und kann das Entscheidende in ihnen erkennen (Mt 22,38). Er kann die Gebote Gottes von bloß menschlichen Bräuchen, Gewohnheiten, Urteilen und Entstellungen unterscheiden (Mt 5,21-48). Wo hätte Jesus das lernen können, wenn nicht im Haus in Nazareth, wenn nicht am Tisch der Handwerkerfamilie?

Und zugleich sagt dieses Gesetz, dass sie das Kind nach Jerusalem bringen sollen, um es dem Herrn zu weihen. Sie müssen diese Wallfahrt machen, wie sie auch jedes Jahr mindestens einmal nach Jerusalem gehen müssen, um an den großen Festen Israels teilzunehmen, um an dem Ort zu sein, wo die Treue Gottes immer wieder in Erinnerung gerufen wird, die Geschichte erinnert wird, die Tora gedeutet und für die aktuelle Gegenwart aufgeschlossen wird.

Sie müssen das kleine Nazareth verlassen, um ihr Kind mit der größeren Geschichte in Kontakt zu bringen, die über eine normale Familie hinausgeht. In Jerusalem, so erzählt es heute das Evangelium ganz schön und plastisch, treffen sie auf Personen, die ganz außergewöhnlich sind und leben, nicht einfach Oma und Opa, sondern Simeon und Hanna, also Personen, die sich vom Gottesgeist führen lassen, die sich von der Sehnsucht nach Gott leiten lassen, die den Wunsch Gottes nach dem Zusammen von Israel und den heidnischen Völkern aufgenommen haben und die offensichtlich, trotz ihres hohen Alters, nicht in Erinnerungen schwelgen, nicht nostalgisch auf eine frühere, goldene Zeit schauen, sondern damit rechnen, dass Gott heute an seinem Volk handelt.

Diese Personen, Josef, Maria, Simeon und die Prophetin Hanna bilden die Brücke, die das Fest der Heiligen Familie in diesem Jahr mit der Person Joseph Ratzingers Papst Benedikt XVI. verbindet. Personen, die die Tora Israels als Evangelium leben, die die Reform und Lebendigkeit des Gottesvolkes nicht von Programmen und Manifesten erwarten, sondern dadurch, dass sie Gottes stilles Werben hören, seine Geschichte kennen und mit seinem Handeln heute rechnen.

Die zweite Lesung dieses Festtages aus dem Hebräerbrief zählt viele solcher Glaubenden auf. Immer beginnt die Aufzählung mit der Angabe, „auf Grund des Glaubens“ machen diese Personen dies oder jenes. Auf Grund des Glaubens, nicht aus Angst, nicht weil sie etwas von Gott wollen, nicht aus purem Interesse:

„Aufgrund des Glaubens gehorchte Abraham dem Ruf, …

„Aufgrund des Glaubens empfing selbst Sara, (…) die Kraft, trotz ihres Alters noch Mutter zu werden…“

„Aufgrund des Glaubens hat Abraham den Isaak hingegeben…“  und so weiter.

Am Ende des Apostolischen Schreibens Porta fidei, mit dem Benedikt XVI. vor zehn Jahren das „Jahr des Glaubens“ 2012/2013 ankündigte, an dem man schon denkt, es kommt nichts Neues mehr, greift Benedikt genau diese Formulierung auf, und auch er baut eine Reihe von Sätzen, die immer mit „aufgrund des Glaubens“ beginnen – also genau wie der Verfasser des Hebräerbriefes –, in denen er vom Glauben in der Geschichte der Kirche erzählt, beginnend mit Maria über die Apostel, die gemeindegründenden Jünger bis zu Männer und Frauen, Eheleuten und Ordensleuten unserer Zeit, bis er am Ende am 11. Oktober 2011 ankommt, an dem Tag, an dem er den Brief unterschrieben hatte:

„Aufgrund des Glaubens haben im Laufe der Jahrhunderte Männer und Frauen jeden Alters (…) die Schönheit bekannt, was es heißt, dem Herrn Jesus dort nachzufolgen, wo sie berufen waren, ihr Christsein zu bezeugen: in der Familie, im Beruf, im öffentlichen Leben, in der Ausübung der Charismen und Dienste, zu denen sie gerufen wurden. Aufgrund des Glaubens leben auch wir: für die lebendige Erkenntnis Jesu, des Herrn, der in unserem Leben und in der Geschichte gegenwärtig ist.“ (Porta fidei 13)

Mit der auffälligen Verwendung der Formel „aufgrund des Glaubens“ aus dem Hebräerbrief macht Benedikt XVI. klar: Wir müssen das Neue Testament fortschreiben, in unserem Leben, in unserer Gegenwart, „auf Grund des Glaubens“ in der Nachfolgegemeinschaft des Gottesvolkes leben. „Gegenwärtig“ ist dabei das Schlüsselwort: In unseren Leben und unserer Geschichte sollen Jesus und die Wunder Gottes nicht nur erinnert, sondern präsent werden. Die Kenntnis der Glaubensgeschichte seit Abraham vermittelt uns die Kenntnis Jesu.

Wie Maria und Josef hat Benedikt XVI. so die natürliche Familie als Ort der Glaubensweitergabe gesehen und zugleich geweitet auf die größere, neue Familie Gottes hin, auf die „Brüder und Schwestern“, die Gottes Wort hören und tun.

Und er hat das nicht nur geschrieben und der Kirche gelehrt, sondern er hat selber so gelebt.

Ich möchte zum Schluss nur ein ganz kleines, schlichtes Detail aus seinen Äußerungen der letzten Jahre herausgreifen: Am Ende seiner sehr klaren Analyse der Missbrauchsskandale in der Kirche, die er im April 2019 veröffentlichte, kommt er auf seine damalige, letzte Lebenssituation zu sprechen, als er als emeritierter Papst in dem kleinen Kloster Mater Ecclesiae im Vatikan lebte.

Er schloss seine Diagnose mit dem Blick auf diese Gemeinschaft von fünf, sechs Personen, in der er lebte und in dem ihm die Kirche mit ihrer Liebe und ihrem Anspruch nahe war. Er schrieb damals:

„Ich lebe in einem Haus, in einer kleinen Gemeinschaft von Menschen, die immer wieder solche Zeugen des lebendigen Gottes im Alltag entdecken und freudig auch mich darauf hinweisen. Die lebendige Kirche zu sehen und zu finden, ist eine wunderbare Aufgabe, die uns selbst stärkt und uns des Glaubens immer neu froh werden lässt.“

Ich weiß nicht, ob je ein Papst so voll Hochachtung und zugleich so theologisch, von seinem eigenen, persönlichen Lebenskreis, von seiner kleinen alltäglichen Familie aus den Menschen, die bei ihm lebten, gesprochen hat. Es ist ein Schlüssel, die Kirche als Ganze zu verstehen. Einander etwas zumuten, auf etwas „hinweisen“, einander korrigieren, kritisieren, so aber auch „stärken“; den anderen des Glaubens froh machen; zusammen bleiben in Gemeinschaft.

Bitten wir Gott heute, dass wir in genau derselben Sicherheit und Heiterkeit in der Kirche leben und wir eine „wunderbare Aufgabe“ vor uns haben. Wir sind sicher, dass wir mit Benedikt XVI. nicht nur einen „Zeugen des lebendigen Gottes im Alltag“, sondern auch in Gottes Ewigkeit haben. Und wir feiern jetzt die Eucharistie, den großen Dank und die immer neu gegenwärtige Erfahrung der Gemeinschaft mit Christus und seiner wahren „heiligen Familie“.

Fest der Hl. Familie | 1. Todestag Papst Benedikt XVI. | 31. Dezember 2023
Waghäusel Mutter mit dem gütigen Herzen

Lesungen: Gen15,1-6;21,1-3; Hebr 11,8.11-12.17-19; Evangelium: Lk 2,22-40

Achim Buckenmaier