Zum Jahr des Glaubens

Was ist das – der Glaube?

Texte von Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI. zum „Jahr des Glaubens“

Im Laufe von sechzig Jahren als theologischer Lehrer und Priester und in besonderer Weise seit 2005 als Papst Benedikt XVI. hat Joseph Ratzinger viele Male über den Glauben gesprochen, in Predigten, Ansprachen, Büchern und Interviews. Wir wollen im Jahr des Glaubens auf der Homepage der Stiftung Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI. einige seiner Aussagen zum Glauben zugänglich machen. Wir werden zwischen Oktober 2012 und November 2013 in Folge kleine Textzusammenstellungen präsentieren und die Aussagen jeweils unter ein bestimmtes Thema stellen.

Thema 8: Glaube und Zeitgeist

Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI. hat sich von Beginn seines Lebens an kritisch mit den jeweiligen geistesgeschichtlichen Strömungen, die in diesem Kontext pauschal als „Zeitgeist“ bezeichnet werden, auseinandergesetzt. In seiner Kindheit und Jugend machte er die Erfahrung, dass Glaube und Zeitgeist, der damals in Deutschland die Ideologie des NS-Regimes verkörperte, unvereinbar waren. In seinen Erinnerungen schreibt er im Rückblick auf die von den Nationalsozialisten propagierte Entchristlichung und Germanisierung der Kultur:

„Wenn ich heute höre, wie man in vielen Teilen der Welt Kritik des Christentums als Zerstörung der eigenen kulturellen Identität und als Aufdrängen europäischer Werte betreibt, dann wundere ich mich, wie ähnlich die Argumentationstypen sind und wie vertraut mir so manche Floskeln klingen.“ (J. Ratzinger, Aus meinem Leben. Erinnerungen, München 1998, 19.)


Nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs dominierten andere Tendenzen den „Geist der Zeit“. In einer für Kardinal Frings ausgearbeiteten Analyse vor dem Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils schilderte Prof. Ratzinger die Grundzüge der Zeit, in die das Konzil fiel, 1961 wie folgt:

„Das Auftauchen neuer, weltweiter Perspektiven hat den Abendländer desillusioniert, ihm die Grenzen seiner kulturellen und geschichtlichen Bedeutung bewusst gemacht, aber damit zugleich eine der wichtigsten äußeren Stützen seines Glaubens an die Absolutheit des Christentums weggezogen und ihn einem Relativismus ausgeliefert, der wohl zu den kennzeichnendsten Zügen des Geisteslebens unserer Zeit gehört und untergründig bis weit in die Reihen der Gläubigen hineinreicht.“ (J. Ratzinger, Das Konzil und die moderne Gedankenwelt (1961). In: JRGS 7/1, 79.)


Demgegenüber setzt der Glaube ganz andere Akzente:

„Glaube an Gott will nicht eine fiktiv-abstrakte Vereinigung verschiedener Handlungsschemata darbieten, er will auch mehr sein als eine Überzeugung des Subjekts, die unvermittelt neben einer gottleeren Objektivität steht. Er will gerade den Kern, die Wurzel des Objektiven aufdecken, den Anspruch der objektiven Wirklichkeit in voller Schärfe zur Geltung bringen. Er tut dies, indem er an jenen Ursprung führt, der Objekt und Subjekt verbindet und die Beziehung beider überhaupt erst erklärlich macht.“ (J. Ratzinger, Theologische Prinzipienlehre. Bausteine zur Fundamentaltheologie, Donauwörth 22005, 73)


Der Glaube vermittelt Gewissheit und gründet in der Wahrheit der Person Christi, die jedoch der Relativismus kaum mehr gelten lässt. So gerät diese Form des „Zeitgeistes“ zunehmend in Konflikt mit dem Glauben, so dass Kardinal Joseph Ratzinger in der Missa pro eligendo Romano Pontifice sagte:

„Wie viele Glaubensmeinungen haben wir in diesen letzten Jahrzehnten kennengelernt, wie viele ideologische Strömungen, wie viele Denkweisen… Das kleine Boot des Denkens vieler Christen ist nicht selten von diesen Wogen zum Schwanken gebracht, von einem Extrem ins andere geworfen worden: vom Marxismus zum Liberalismus bis hin zum Libertinismus; vom Kollektivismus zum radikalen Individualismus; vom Atheismus zu einem vagen religiösen Mystizismus; vom Agnostizismus zum Synkretismus, und so weiter. Jeden Tag entstehen neue Sekten, und dabei tritt ein, was der hl. Paulus über den Betrug unter den Menschen und über die irreführende Verschlagenheit gesagt hat (vgl. Eph 4,14). Einen klaren Glauben nach dem Credo der Kirche zu haben, wird oft als Fundamentalismus abgestempelt, wohingegen der Relativismus, das sich »vom Windstoß irgendeiner Lehrmeinung Hin-und-hertreiben-lassen«, als die heutzutage einzige zeitgemäße Haltung erscheint. Es entsteht eine Diktatur des Relativismus, die nichts als endgültig anerkennt und als letztes Maß nur das eigene Ich und seine Gelüste gelten lässt.“ (J. Kard. Ratzinger, Predigt vom 18.4.2005)


Diese Aussagen sorgten für Aufsehen und beschrieben zugleich eine der größten Herausforderungen für den Glauben. Während seines Pontifikats hat Papst Benedikt immer wieder versucht, auf diese Grundschwierigkeit zu antworten, nicht zuletzt mit dem Jahr des Glaubens.

„Vom Anfang meines Dienstes als Nachfolger Petri an habe ich an die Notwendigkeit erinnert, den Weg des Glaubens wiederzuentdecken, um die Freude und die erneute Begeisterung der Begegnung mit Christus immer deutlicher zutage treten zu lassen. In der Predigt während der heiligen Messe zum Beginn meines Pontifikats habe ich gesagt: ‚Die Kirche als ganze und die Hirten in ihr müssen wie Christus sich auf den Weg machen, um die Menschen aus der Wüste herauszuführen zu den Orten des Lebens – zur Freundschaft mit dem Sohn Gottes, der uns Leben schenkt, Leben in Fülle‘.“ (Benedikt XVI., Apostolisches Schreiben Porta fidei, 2)


Der Weg des Glaubens nährt sich aus der Begegnung mit dem lebendigen Gott, setzt zugleich Mut und ein eindeutiges Bekenntnis voraus. In einer seiner letzten Predigten hat Papst Benedikt bei der Bischofsweihe am 6. Januar 2013 eine Art Schlüssel angeboten, wie das oft spannungsgeladene Verhältnis von Glaube und Zeitgeist gelöst werden kann:

„Die Demut des Glaubens, des Mitglaubens mit dem Glauben der Kirche aller Zeiten wird immer wieder in Konflikt geraten mit der herrschenden Klugheit derer, die sich ans scheinbar Sichere halten. Wer den Glauben der Kirche lebt und verkündet, steht in vielen Punkten quer zu den herrschenden Meinungen gerade auch in unserer Zeit. Der heute weithin bestimmende Agnostizismus hat seine Dogmen und ist höchst intolerant gegenüber all dem, was ihn und seine Maßstäbe in Frage stellt. Deshalb ist der Mut zum Widerspruch gegen die herrschenden Orientierungen für einen Bischof heute besonders vordringlich. Er muss tapfer sein. Und Tapferkeit besteht nicht im Dreinschlagen, in der Aggressivität, sondern im Sich-schlagen-Lassen und im Standhalten gegenüber den Maßstäben der herrschenden Meinungen. Der Mut des Stehenbleibens bei der Wahrheit ist unausweichlich von denen gefordert, die der Herr wie Schafe unter die Wölfe schickt.“ (Benedikt XVI., Predigt vom 6.1.2013)


© Zusammengestellt von Ralph Weimann