Fotos: Michael Hofmann
Fotos: Michael Hofmann

Referat von Herrn Otto Neubauer
Eine immer neue Evangelisation –
Wo die Armut zur Brücke zu den Menschen wird (Auszug)

2. Lernprozess: dass die Anbetung in die Welt drängt

Ich sagte schon, dass wir in den Gemeindemissionen auszogen, um zu einer Begegnung mit Jesus Christus einzuladen. Zentral war dabei, dass wir immer auch in die Kirche eingeladen haben. Wir haben den Menschen von Seiner realen Gegenwart erzählt – auch von dieser einfachen Gegenwart im Leib Christi. Die Mitte allen Tuns bei Gemeindemissionen war die Eucharistie, und tagsüber waren die Kirchentüren weit geöffnet für die eucharistische Anbetung.
Dies betrifft nun eine der Entwicklungen seit dem 2. Vatikanischen Konzil, die meines Erachtens besondere Beachtung verdient. Für uns und sehr viele andere evangelisatorische, missionarische Aufbrüche und Initiativen steht die eucharistische Gegenwart des Herrn im Zentrum der missionarischen Aktivitäten. Die eucharistische Anbetung entwickelte nun eine beeindruckende missionarische Kraft, wurde entscheidender Sammelpunkt der Missionen und zeigte gerade für junge Menschen eine außerordentliche Anziehungskraft. In der Anbetung wird dem Gastgeber, dem Herrn selbst, so der Vortritt gegeben. Von IHM soll alles ausgehen. Das verweilende, anbetende und lobpreisende Gebet vor dem eucharistischen Brot, offenbarte uns eine besondere Schönheit. Und erstaunlicherweise haben sich gerade während unserer Missionen um die Anbetung neue „moderne“ Gottesdienstformen entwickelt, die besonders auch Fernstehende und junge Leute anziehen. Zu einer der besonders schönen Früchte gehören die sog. „Stunden oder Abende der Barmherzigkeit“, die bereits an vielen Orten praktiziert werden.

Aber selbst hier spürten wir die Gefahr, in der Selbstbetrachtung stecken zu bleiben, wenn uns diese Anbetung nicht gleichzeitig zu den Menschen hinzieht. Wir wurden mehr und mehr dazu hingeführt, Christus weiter anzubeten in den Menschen (!), denen wir in der Mission begegneten. Christus in Menschen anbeten – irgendwie veränderte das alles. Selbst in jenen mit der größten Ablehnung, oder Hass u. a., war es plötzlich möglich, Christus den Gekreuzigten, Christus den Verlassenen, anzubeten. Wir lieben ja deswegen nicht durch die Menschen hindurch, sondern erst die wahre Person im Gegenüber. Es offenbart sich jemand zunehmend in seiner/ihrer Eigentlichkeit.
Das verändert den Blick auf die Welt radikal. Studierende, Geschiedene, Verheiratete, Obdachlose, aber auch Politiker, Schauspieler, Journalisten, mit denen wir unser Zeit verbrachten, erschienen uns mit den Monaten, mit den Jahren, geheimnisvoll in einem anderen Licht. Wir bringen sie und ihre Anliegen, Freuden und Verirrungen in unserem Herzen zur Anbetung. Und so begannen sie auch „unser Herz zu bewohnen“!

Unglaublich, wie sehr genau das die Methodik der Evangelisierung verändern kann. Es führt uns direkt zum Bild des Tempels mit dem Vorhof und dem Heiligtum, das Sie uns, Heiliger Vater, zu Weihnachten 2009 in einer Rede geschenkt haben. In einer Zeit, in der die Minderheitensituation der Christen in Europa immer eklatanter wird, brauchen wir solche „Heiligtümer“ der Anbetung und des Lobpreises der Gegenwart des Herrn! Menschen wie Räume, aber offene; weil der Vorhof da (!) in Wahrheit nicht mehr vom Tempel getrennt ist. Weil Tempel und Vorhof durch Christi „Herablassung“, durch sein Opfer, durchlässig gemacht wurde. Dialog, Anbetung und Evangelisierung greifen hier ineinander. Wir dürfen wirklich erfahren, dass durch diese anbetende Mission und gelebte Kompassion „Menschen an uns hängen können, ohne ihn zu kennen“? [5] Heiliger Vater, ich weiß gar nicht, wie ich es recht ausdrücken soll, aber als wir all diese Worte vom „Vorhof der Völker“ von Ihnen hörten, erfüllte uns das mit einer so großen Freude, sodass uns zuinnerst bewusst war: DAS ist es jetzt! Wie eine Art neue Geistausgießung für die Kirche. Ja, wir können zutiefst bestätigen, wie sehr die „Agnostiker“ unserer Tage das Große und Reine ersehnen. Ja, es kommt auf unsere Lebensweise, unsere innere Haltung an, „dass Menschen so ihr Heimweh akzeptieren können“.[6] Wie oft durften wir erleben, wie in Menschen durch die Erfahrung eines tiefen inneren Angenommenseins, einer Achtung ihrer Selbst, der Hunger nach Gott frei gelegt wurde.
Nur ein kleines Beispiel:
In unsere Akademie, in der es eine Kapelle mit täglicher Anbetung gibt, bieten wir neben der vielfältigen Missionsausbildung für die Diözese z. B. auch Kurse für Medien- und Europa­Fragen an, die vor allem von vielen jungen Menschen aller möglichen Weltanschauungen besucht werden. Wir gehen so einen Weg mit den jungen Leuten, teilen ihre Interessen wie auch die intellektuelle Auseinandersetzung in wichtigen gesellschaftlichen Fragen. Und wir bringen unseren christlichen Glauben im Dialog ein. Eine Studentin fragte mich nach einem Jahr Medienkurs, ob sie mir eine „intime“ Frage bezüglich meines Glaubens stellen dürfte. Das ganze Jahr über brachte sie nämlich wiederholt zum Ausdruck, dass sie ungläubig wäre, sich aber irrsinnig wohl im Kurs wie im Haus fühle. Sie wollte nun wissen, ob ich denn zum Schluss für sie gebetet hätte. Ich zögerte anfangs mit der Antwort, weil sie ja nicht bekehrt werden wollte; wer will das schon „Objekt der Mission“ sein?
Als ich bejahte, fragte sie, ob ich denn schon seit Anfang des Kurses, seit einem Jahr, für sie betete, und als ich dann wieder mit Ja antwortete, sagte sie bewegt: „Ganz ehrlich, darauf hatte ich gehofft!“
Ich könnte nun mit unzähligen solcher Beispiele dieses „Heimwehs“ fortfahren. Wir initiieren Dialogveranstaltungen an den verschiedensten „säkularen“ Orten in Wien, aber es sind natürlich „missionarische“ Dialoge. Unsere agnostischen oder atheistischen Freunde verstehen zum Teil besser als Kircheninsider, dass der Dialog nicht von der inneren Mission jedes Dialogpartners zu trennen ist. Wir sind dabei zu lernen, was es heißt, transparenter und ehrlicher zu sein. Vor allem aber im Geist der Armut zu leben, um uns gegenseitig beschenken zu lassen. Ganz ähnlich, wie schon Platon den Dialog verstand, dass nämlich durch wachsende (Compassio), durch „häufige familiäre Unterredung … plötzlich jene Idee in der Seele entspringt, wie aus einem Feuerfunken das angezündete Licht, um sich dann selber weiter Bahn zu brechen“.[7] Aber das lebt zutiefst aus dem Glauben, dass der Feuerfunken der Geist Gottes ist, auf dessen Wirken wir vertrauen, und der weht wo er will. Dies führt uns nicht in einen Relativismus. Es ersetzt auch nicht die Katechese, sondern ermöglicht sie so erst. Und es eröffnet erst den Weg zu den Sakramenten, die für uns immer deutlicher zu den inneren pulsierenden Zentren der Evangelisierung werden. Nur dass hier kein Missverständnis aufkommt; all die tragischen Verirrungen und Versuchungen des Bösen in unserer Gesellschaft werden bei dieser Art der Evangeliserung nicht ausgeblendet oder gar weichgespült. Gerade die Konzentration auf die Compassion in der Evangelisation sensibilisiert für die Unwahrheit und die zerstörerischen Phänomene, legt aber wohl ein stärkeres Gewicht auf das Durchleiden dieser Dimension. Uns kommt Europa so tief verwundet entgegen, oft auch so innerlich vereinsamt. Deshalb sind uns die Worte Jesu zu den Jüngern – im Blick auf die Sünderin – heute zu einem dringlicheren Lernprozess geworden: „Wem aber nur wenig vergeben wird, der zeigt auch nur wenig Liebe“ (Lk 7, 47b)

Download des gesamten Referates PDF

© Otto Neubauer