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Achim Buckenmaier„Haarsträubend“ – die Schwierigkeiten mit dem Brief des Papstes an die Priester
1 Kommentar: Das ist natürlich Sprache des 19. Jahrhunderts. Man muß es übersetzen. Das braucht der Papst nicht. Vianney spricht ganz dinglich, wie ein Kind. Er hat es ganz schlicht gesehen.
2 Kommentar: Das würde heute keiner mehr so sagen. Warum zitiert es der Papst? Es ist vielleicht wie beim Mohammed-Zitat der Regensburger Rede.
3 Kommentar: Interessantes Beispiel für eine in alter Sprache gewußte und gültige Sache. Ohne daß wir das Spiel mit uns als Figuren spielen lassen, kann Gott nicht gewinnen…
Prof. Dr. Achim Buckenmaier
„Haarsträubend“ – die Schwierigkeiten mit dem Brief des Papstes
an die Priester
Ein Vorschlag zur Lektüre
Die vielfach negativen Reaktionen auf den Brief des Papstes an die Priester, den er aus Anlaß des „Jahres der Priester“ geschrieben hat, spiegeln offensichtlich die Stimmung nicht weniger Priester und Laien wider. Der Papst scheint „in einer anderen, längst vergangenen Welt“ zu leben und in seinem Brief ein Priesterbild zu entwerfen, das die heutigen Pfarrer mit einem übergroßen Ideal, abseits der harten Wirklichkeit, erdrückt. In Leserbriefen z. B. in den deutschen Bistumszeitungen wird das Priesterbild, das der Papst in seinem Brief entfaltet, als „haarsträubend“ bezeichnet. Dabei fällt auf: Anders als in der Frage der Aufhebung der Exkommunikation der Lefebvre-Bischöfe sind die Reaktionen nicht von jener „sprungbereiten Feindseligkeit“ geprägt, die den Papst auch persönlich getroffen hatte, sondern von ernster Sorge und einer gewissen Traurigkeit über die festgestellte Distanz zu dem, was Benedikt XVI. denkt.
Prof. Dr. Achim Buckenmaier, Mitglied der Priestergemeinschaft der Katholischen Integrierten Gemeinde, Dozent am „Lehrstuhl für die Theologie des Volkes Gottes“ an der Päpstlichen Lateranuniversität und Mitglied des Kreises jüngerer Theologen der sich in Erweiterung des „Schülerkreises“ gebildet hat, schlägt vor, den Brief des Papstes noch einmal neu zu lesen und sich bestimmter Lese- und Verständnishilfen zu bedienen. Denn der Text ist in gewisser Weise engzeilig und hat eine eigene Sprache.
Wo der Brief ganz persönlich und konkret ist
Der eigentliche Brief beginnt gar nicht mit dem Pfarrer von Ars, sondern mit dem Vikar Joseph Ratzinger. Der Papst erinnert sich seines ersten Chefs. Es ist nur eine kleine Notiz, eine Momentaufnahme von der Tätigkeit und dem Tod des Pfarrers, dem der Kaplan Ratzinger zugeteilt war. In einem Halbsatz faßt er dann die Begegnungen mit „unzähligen Mitbrüdern“ zusammen, die ihn beeindruckten und beeindrucken. Für Joseph Ratzinger als Papst sind diese Begegnungen noch internationaler geworden. Man muß zum Verständnis des Briefes einmal die unvorbereiteten Antworten lesen, die Benedikt XVI. gegeben hat, wenn er sich während seines Urlaubs oder bei anderer Gelegenheit in Rom den Fragen von Priestern stellt. Da bekommt er öffentlich aktuelle Nöte, Anregungen und Vorschläge zu hören und er antwortet fast immer in einer unnachahmlichen theologischen Art, die die Dinge meistens erst auf den Punkt bringt. Mit Gelassenheit und Humor kann er auch einmal eine etwas übereifrige Strenge oder ein Lamento ausbügeln. Schade eigentlich, daß seine frischen Beiträge aus diesen Begegnungen nicht wie ein Kommentar dem Brief beigegeben werden.
Zur Sicht der Realität der Priester gehört auch die Passage, die ebenfalls im Anfangsteil des Briefes zu finden ist und damit eine Lesehilfe bietet: Die Erinnerung an die Priester, die sich das Leid anderer Menschen hineinziehen lassen und an jene Priester, „die in ihrer Würde verletzt, in ihrer Sendung behindert, manchmal sogar bis hin zum extremen Zeugnis der Hingabe des eigenen Lebens verfolgt werden“. Das erinnert uns an die große, uns meist unbekannte Welt der Christenverfolgung, die – im Irak, Iran, in Indien, Indonesien und anderen Ländern – buchstäblich bis in unsere Tage hineinreicht.
Die fremde Sprache und Person Vianneys sind ein Kommunikationsmittel
Mit den Notizen aus dem Leben Jean Marie Vianneys und seinen Äußerungen weht uns eine Sprache aus dem frühen 19. Jahrhundert an, eine fremde Sprache, ein fremdes Denken. Schon zu Lebzeiten war der Pfarrer von Ars völlig unzeitgemäß. Walter Nigg hat in seiner Lebensskizze des „heiligen Idioten“ bemerkt: Die großen weltgeschichtlichen Umwälzungen seiner Zeit – die französische Revolution oder Napoleon – schienen an Vianney völlig vorbeigegangen zu sein. Nirgends findet sich ein direkter Kommentar oder eine Äußerung dazu. Ich denke, daß Benedikt XVI. bewußt diesen Heiligen in den Mittelpunkt seines Briefes gestellt hat.
Das Befremdliche, was uns im Pfarrer von Ars begegnet, hat einen Sinn: Es beleuchtet sozusagen ‚Räume’ des Priester seins, die ich als ‚moderner’ westlicher Priester nur selten betrete. Zum Beispiel das Thema „Opfer“. Ich kann es nur persönlich sagen: Diese Thematik als Dimension des Priester seins hat mich im Studium und auch in der Ausbildung nicht mehr erreicht, obwohl sie – das habe ich viel später erst gelernt – ganz wesentlich zum Wesen des Priesters dazu gehört; nicht nur kultisch-sakramental, sondern existentiell. Im Leben der Priester, die mir wirklich zum Vorbild wurden, ist in der einen oder anderen Weise dieses Merkmal „Opfer“ vorgekommen, aber nicht als Leiden an sich selbst oder als Heldenopfertum, sondern einfach in einer fraglosen Hingabe an andere Personen, an die Kirche, in einer sich selbst vergessenden Hinneigung zur Sache Gottes. Vor fünfundzwanzig Jahren, als ich auf dem Weg war, Priester zu werden, waren mir alle diese Worte suspekt. Der Zugang zum „Opfer“ war uns tief verstellt – als Folge der 68er vielleicht, die eine bestimmte Art von „Selbstverwirklichung“ zum Programm erhob, oder auch durch Priester selber, durch – man muß es kritisch sehen –unablässig umtriebige Macher und stets aktive, am Ende aber leere Pfarrer. Im Papst-Brief und dem unverständlichen Bild des Pfarrers von Ars lese ich eine unaufdringliche Anregung zum Nachdenken und zur Korrektur.
„Ohne das Sakrament der Weihe hätten wir den Herrn nicht.“(1) – „Nach Gott ist der Priester alles!“(2). Der Papst zitiert hier den Pfarrer von Ars. Es ist klar: das ist keine moderne Berufsbeschreibung, es ist die Sprache Vianneys, der ganz dinglich dachte wie ein Kind, die Sprache eines Liebenden, eines Heiligen. Niemand würde heute so reden. Vielleicht ist es wie das Zitat zu Mohammed in der Regensburger Rede eine Provokation, um überhaupt im Gespräch und Denken weiterzukommen. Die Kirche gäbe es gar nicht, ohne die immer wieder neu gewährte Gegenwart Gottes, so würde ich diese Sätze übersetzen. Es ist eine Gegenwart und Treue Gottes, die sich seit dem Exodus gegen die Mehrheiten, in der Regel gegen uns, durchsetzen muß, und den Skandal in sich trägt, daß Gott durch Menschen handelt. „Wie kann Gott so reduziert werden?“, fragte jemand im Leserbrief. Genau das ist der Punkt: Gott zieht sich um der Freiheit des Menschen willen zurück, wählt den Erlösungsweg über ein einziges Volk (Israel) und die Kirche, über Menschen.
Der Papst selber bleibt nicht beim Nacherzählen des Heiligenlebens stehen, zum Beispiel, wenn er darauf zu sprechen kommt, der Pfarrer von Ars habe fast seine ganze Zeit in der Pfarrkirche gewohnt. Er nennt das einfach eine „fromme Übertreibung“ des ersten Biographen, und übersetzt die Legende: Der Pfarrer von Ars wohnte ganz bei Gott und ganz bei seinen Leuten. Benedikt zieht daraus einen aktuellen Schluß: „Sein Beispiel veranlaßt mich, das Feld der Zusammenarbeit zu betonen, das immer mehr auf die gläubigen Laien auszudehnen ist, mit denen die Priester das eine priesterliche Volk bilden und in deren Mitte sie leben“. In den Mittwochsansprachen der vergangenen Jahre, wo Benedikt über die Apostel, über Paulus und die Kirchenväter gesprochen hat, hat er wie noch kein Papst vor ihm immer wieder das Bild des „Volkes Gottes“ und der Gemeinden des Anfangs als Maß für die heutige Kirche gezeichnet.
Benedikt will nicht über Funktionsträger sprechen, sondern zu Personen
Als Reaktion auf den Papstbrief wurde unter anderem erneut vorgeschlagen, verheiratete Männer zu Priestern zu weihen oder den Zölibat ganz aufzuheben. Vielleicht hat der Papst auch deswegen den etwas befremdenden Zugang über Johannes Vianney gewählt. Um das zu verstehen, muß man den Gedanken erwägen, daß die Lösung für den Priestermangel vielleicht anderswo oder tiefer liegt. Es gibt ein schönes Beispiel im Brief. Benedikt XVI. zitiert zuerst Jean Marie Vianney: „Ich verrate Euch mein Rezept: Ich gebe den Sündern eine kleine Buße auf, und auf, und den Rest tue ich an ihrer Stelle“ und zieht dann den Gedanken aus: „Jenseits der konkreten Bußübungen, denen der Pfarrer von Ars sich unterzog, bleibt in jedem Fall der Kern seiner Lehre für alle gültig: die Seelen sind mit dem Blut Jesu erkauft, und der Priester kann sich nicht ihrer Rettung widmen, wenn er sich weigert, sich persönlich an dem „teuren Preis“ ihrer Erlösung zu beteiligen.“ (3)
Priester sein ist nicht an eine bestimmte Funktion gebunden, obwohl bestimmte Aufgaben damit verbunden sind. Dreimal gebraucht der Papst in seinem Brief das Stichwort „neuer Lebensstil“ (Jesu). Es geht beim Priester – das macht ihn auch wieder allen anderen gleich – nicht um die Erfüllung einer besonderen Aufgabe, sondern um ein gläubiges Leben, mit einer bestimmten Aufgabe. Wir sind nicht Schiedsrichter außerhalb der Partie, sondern (Mit-)Spieler. Es geht um die Identität als glaubender Mensch. Die noch fremdere Poesie – wenn im Brief aus der Lebensbeschreibung zitiert wird: „die Gläubigen bemerkten es, wenn er mit den Augen eines Verliebten zum Tabernakel schaute“ – kann man auf der einen Seite als frommen Priesterkitsch anschauen, auf der anderen Seite auch wie ein Gedicht lesen. Es dient genau dieser Vertiefung: Es geht um Personen, nicht um Funktionen. Allerdings: Ein glaubender Mensch kann der Priester, wie alle anderen auch, nicht allein werden. Er braucht Hilfe. Die Hilfe kann ihm durch andere, neue Gemeinschaften in der Kirche zuteil werden, sagt der Papst. Er soll Gemeinschaft suchen, „Gemeinschaft der Priester untereinander und mit ihrem Bischof, [die] sich in den verschiedenen konkreten Formen einer effektiven und affektiven priesterlichen Brüderlichkeit verwirklicht“.
Ich lese daraus eine Herausforderung – an den Bischof, die Verantwortlichen der Diözese, jeden Priester, die Gemeinden: Ermöglicht das, was wir planen und machen Gemeinschaft? Fördert es ein Miteinander? Fördern die Pfarrer neue Gemeinschaften? Gibt es die Vision, schon in der Ausbildung, daß die Jünger nur „zwei und zwei“ ausgesandt werden (ein Bild für den Priester in Gemeinschaft und Gemeinde)? Persönlich: Suche ich, bevor ich für mich und andere entscheide, den Rat anderer Glaubender, anderer Priester, auch in alltäglichen Fragen, auch die Kritik? Besuche ich als Priester andere Priester oder ist es mir zu lästig, zu aufwändig, zu viele Kilometer…? Das liest sich vielleicht wie ein Beichtspiegel; der Papst hat es eleganter gemacht, aber man kann seine Gedanken ja weiterführen.
Universal denken
Noch einen kritischen Gedanken zum Schluß: Schon ein mittelständischer Unternehmer muß heute global denken. Er muß sich mit anderen Kommunikationsweisen anderer Kulturen auseinandersetzen, mit Leuten, die ganz anders essen, sich anders begrüßen, völlig anders denken. Der Brief des Papstes ist an alle Priester der Welt gerichtet. Die Kirche in Deutschland ist nur ein kleiner Teil dieser Welt. Mit den Priestern aus Indien, aus Afrika, aber auch aus Polen ist diese Welt schon ein wenig bei uns angekommen. Spannungen, die sich daraus ergeben, zeigen, daß es auch andere Vorstellungen von Priester sein und Kirchesein gibt. Was ist die richtige? Augenscheinlich gibt es mehr und andere Erfahrungen als unsere eigenen hier in Deutschland. Der Hinweis auf die aktuelle Märtyrerkirche könnte den Blick auf eine andere Wirklichkeit von Kirche und damit auch von priesterlicher Existenz öffnen. Gibt es nicht Länder, in denen Christen ohne Lebensgefahr gar nicht öffentlich für die Kirche eintreten können, in denen ein Priester, sein Kommen in einen Ort oder eine Pfarrei ganz handgreiflich als Geschenk erfahren wird? Das kommt in den negativen Reaktionen auf den Papstbrief nirgends vor. Es scheint, als könne sich niemand andere Formen von kirchlichem Leben, Pfarreien, Pfarrern und Priestern vorstellen, als wir sie entwickelt haben. Eine deutsche Beschränktheit oder Hybris? Könnte man den fremdartigen Brief aus Rom nicht als Herausforderung zur Weitung lesen?