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Jahr der Priester
Erste Benediktakademie
Zur ökumenische Initiative von Papst Benedikt XVI.
Zum Papstbesuch im Heiligen Land.
Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.
Das Erbe Abrahams
An Weihnachten gibt man sich gegenseitig Geschenke, um einander Freude zu machen und so an der Freude teilzunehmen, welche der Chor der Engel den Hirten verkündet. Man erinnert sich dabei des Geschenkes par excellence, das Gott der Menschheit machte, als er uns seinen Sohn Jesus Christus schenkte. Dies ist von Gott in einer langen Geschichte vorbereitet worden, in der – wie der hl. Irenäus sagt – sich Gott daran gewöhnte, mit den Menschen zu sein, und der Mensch sich an die Gemeinschaft mit Gott gewöhnte.
Dank an unsere jüdischen Brüder
Diese Geschichte beginnt mit dem Glauben Abrahams, dem Vater der Glaubenden, Vater auch des Glaubens der Christen und durch den Glauben unser Vater.
Diese Geschichte geht weiter im Segen für die Patriarchen, in der Offenbarung an Mose und im Auszug Israels zum Gelobten Land. Eine neue Etappe öffnet sich mit der Verheißung eines Königtums ohne Ende an David und sein Geschlecht. Die Propheten ihrerseits deuten die Geschichte, rufen zur Buße und Umkehr und bereiten so das Herz der Menschen vor, die höchste Gabe zu empfangen.
Abraham, der Vater des Volkes Israel, der Vater des Glaubens, ist so die Wurzel des Segens, in dem „sich gesegnet nennen alle Familien der Erde“ (Gen 12,3). Aufgabe des erwählten Volkes ist es daher, allen anderen Völkern seinen Gott zu schenken, den einzigen und wahren Gott. Und tatsächlich sind wir Christen Erben ihres Glaubens an den einzigen Gott. Unser Dank gilt daher unseren jüdischen Brüdern, die trotz der Schwierigkeiten ihrer Geschichte bis heute den Glauben an diesen Gott bewahrt haben und ihn vor den anderen Völkern bezeugen, die, ohne die Kenntnis des einzigen Gottes, „in Finsternis sitzen und im Schatten des Todes“ (Lk 1,79).
Israel und die Kirche sind untrennbar
Der Gott der Bibel der Juden, welche – zusammen mit dem Neuen Testament – auch die Bibel der Christen ist, manchmal von unendlicher Zärtlichkeit, manchmal von einer Strenge, die Furcht einflößt, ist auch der Gott Jesu Christi und der Apostel. Die Kirche des zweiten Jahrhunderts musste Widerstand leisten gegen die Zurückweisung dieses Gottes von Seiten der Gnostiker und vor allem Markions, die dem Gott des Neuen Testamentes einen demiurgischen Schöpfer-Gott entgegensetzten, von dem das Alte Testament herstamme; die Kirche hingegen hat immer den Glauben an einen einzigen Gott, den Schöpfer der Welt und den Urheber beider Testamente, festgehalten.
Die neutestamentliche Erkenntnis von Gott, die in der johanneischen Definition „Gott ist Liebe“ (1 Joh 4,16) gipfelt, widerspricht der Vergangenheit nicht, sondern begreift vielmehr die ganze Heilsgeschichte in sich, welche am Anfang Israel als Vorkämpfer hatte. Deshalb erklingen in der Liturgie der Kirche von den Anfängen an bis heute die Stimmen von Mose und den Propheten; das Psalmenbuch Israels ist auch das große Gebetbuch der Kirche. Folgerichtig hat sich die Urkirche nicht Israel entgegengestellt, sondern sie glaubte in aller Einfachheit, dessen rechtmäßige Fortsetzung zu sein.
Das herrliche Bild im 12. Kapitel der Offenbarung des Johannes: eine Frau, mit der Sonne bekleidet, mit zwölf Sternen bekränzt, schwanger und leidend in den Schmerzen der Geburt, ist Israel, das den gebiert, „der alle Nationen mit eisernem Zepter regieren soll“ (Ps 2,9). Und dennoch verwandelt sich diese Frau in das neue Israel, Mutter neuer Völker, und ist in Maria, der Mutter Jesu, personifiziert. Diese Vereinigung von drei Bedeutungen – Israel, Maria, Kirche – zeigt, wie für den Glauben der Christen Israel und die Kirche untrennbar waren und sind.
Eine neue Vision der Beziehung Israel – Kirche
Wir wissen, dass jede Geburt schwierig ist. Sicherlich war das Verhältnis zwischen der werdenden Kirche und Israel von Anfang an oft durch Konflikte bestimmt. Die Kirche wurde von ihrer Mutter als entartete Tochter betrachtet, während die Christen die Mutter als blind und verstockt betrachteten. Die schon schwierigen Beziehungen verschlechterten sich in der Geschichte der Christenheit weiter und führten in vielen Fällen zu geradezu antijüdischem Verhalten, das in der Geschichte bedauernswerte Akte der Gewalt hervorgebracht hat. Auch wenn die letzte abscheuliche Erfahrung der Shoah im Namen einer antichristlichen Ideologie erfolgte, welche den christlichen Glauben in seiner abrahamitischen Wurzel treffen wollte, im Volk Israel, kann man nicht leugnen, dass sich ein gewisser ungenügender Widerstand von christlicher Seite gegen diese Grausamkeiten aus dem antijüdischen Erbe erklärt, das in der Seele nicht weniger Christen da war.
Vielleicht gerade wegen der Dramatik dieser letzten Tragödie ist eine neue Vision der Beziehung zwischen Kirche und Israel entstanden, ein aufrichtiger Wille, jede Art von Antijudaismus zu überwinden und einen konstruktiven Dialog gegenseitiger Kenntnis und der Versöhnung zu beginnen.
Ein solcher Dialog muss, um fruchtbar zu sein, mit einem Gebet an unseren Gott beginnen, dass er vor allem uns Christen eine größere Hochschätzung und Liebe zu diesem Volk, den Israeliten, gebe, welche „die Sohnschaft haben, die Herrlichkeit, die Bundesordnungen, das Gesetz, den Gottesdienst, die Verheißungen, die Väter, von denen Christus dem Fleische nach stammt, der über allem als Gott steht, er ist gepriesen in Ewigkeit. Amen“ (Röm 9,4–5), und das nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch gegenwärtig, „denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt“ (Röm 11,29). Wir werden auch beten, dass er den Söhnen Israels eine größere Erkenntnis Jesu von Nazaret gebe, ihrem Sohn und Geschenk, das sie uns gemacht haben. Da wir beide in Erwartung der endzeitlichen Erlösung sind, lasst uns beten, dass unser Weg auf zusammenlaufenden Linien erfolge.
Israels Glaube – das Fundament unseres Glaubens
Es ist offensichtlich, dass der Dialog von uns Christen mit den Juden auf einer anderen Ebene stattfindet als der mit den anderen Religionen. Der in der Bibel der Juden, dem Alten Testament der Christen, bezeugte Glaube ist für uns nicht eine andere Religion, sondern das Fundament unseres Glaubens. Deshalb lesen und studieren die Christen – und sie tun es heute immer mehr in Zusammenarbeit mit ihren jüdischen Brüdern – mit so großer Aufmerksamkeit und als Teil ihres selben Erbes diese Bücher der Heiligen Schrift. Es stimmt, dass auch der Islam sich als Sohn Abrahams betrachtet und von Israel und den Christen denselben Gott geerbt hat, aber er geht einen anderen Weg, der für den Dialog andere Maßstäbe braucht.
Um zurückzukommen auf den Austausch von Weihnachtsgeschenken, mit dem ich diese Meditation begonnen habe, so müssen wir vor allem erkennen, dass alles, was wir haben und tun, ein Geschenk Gottes ist, das man mit Hilfe des demütigen und aufrichtigen Gebetes empfängt, ein Geschenk, das geteilt werden soll mit verschiedenen Ethnien, mit Religionen auf der Suche nach einer größeren Erkenntnis des göttlichen Mysteriums, mit Nationen, die den Frieden suchen, und mit Völkern, die eine Gesellschaft herstellen wollen, in der Gerechtigkeit und Liebe herrschen. Das ist das Programm, das das Zweite Vatikanische Konzil für die Kirche der Zukunft entworfen hat. Und wir Katholiken bitten den Herrn, uns zu helfen, auf diesem Weg auszuharren.
Aus: HEUTE in Kirche und Welt, 2/2001, Verlag Urfeld. Der Text dieser Meditation erschien zuerst in der Woche nach Weihnachten am 29. Dezember 2000 italienisch im Osservatore Romano. Der Abdruck in deutscher Übersetzung erfolgte mit freundlicher Erlaubnis des Verfassers und des Osservatore Romano.