Zum Jahr des Glaubens
Was ist das – der Glaube?
Texte von Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI. zum „Jahr des Glaubens“
Im Laufe von sechzig Jahren als theologischer Lehrer und Priester und in besonderer Weise seit 2005 als Papst Benedikt XVI. hat Joseph Ratzinger viele Male über den Glauben gesprochen, in Predigten, Ansprachen, Büchern und Interviews. Wir wollen im Jahr des Glaubens auf der Homepage der Stiftung Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI. einige seiner Aussagen zum Glauben zugänglich machen. Wir werden zwischen Oktober 2012 und November 2013 in Folge kleine Textzusammenstellungen präsentieren und die Aussagen jeweils unter ein bestimmtes Thema stellen.
Thema 3: Maria – der Glaube Israels
Schon in seiner ersten Vorlesung zur Mariologie im Sommersemester 1957 an der Theologischen Hochschule in Freising deutet Joseph Ratzinger die Gottesmutter Maria als Urbild des biblischen Glaubens, als die Frau, in der sich die Bundesgeschichte Israels vollendet, weil ihr Glaube und ihre Erwartung zu dem Ort werden, an dem der Messias Jesus in die Geschichte der Menschheit eintreten kann. Maria ist Urbild des gläubigen Vertrauens – für jeden einzelnen Christen wie für die Gemeinschaft der Kirche insgesamt. Die marianische Dimension des Glaubens durchzieht die Theologie des Heiligen Vaters bis heute. In einer in freier Rede gehaltenen Meditation während der ersten Sitzung der Bischofssynode für den Nahen Osten am 11.Oktober 2010 spricht Papst Benedikt XVI. davon, dass der Glaube Marias dabei hilft, den wahren Gott von den falschen Göttern zu unterscheiden:
„In Psalm 81 … wird in einer äußerst konzentrierten Form, in einer prophetischen Vision die Entmachtung der Götter sichtbar. Diejenigen, die Götter schienen, sind keine Götter und verlieren ihren göttlichen Charakter, sie stürzen … Dieser Prozess, der im Laufe des langen Glaubensweges Israels erfolgt … ist, ist ein wahrer Prozess der Religionsgeschichte: der Sturz der Götter. Und so ist die Verwandlung der Welt, die Erkenntnis des wahren Gottes, die Entmachtung der Mächte, die die Erde beherrschen, ein schmerzhafter Prozess. In der Geschichte Israels sehen wir, wie diese Befreiung vom Polytheismus … sich unter vielen Schmerzen verwirklicht, angefangen vom Weg Abrahams, dem Exil, den Makkabäern, bis hin zu Christus … Und er wird gerade in der Zeit der entstehenden Kirche Wirklichkeit, wo wir sehen, wie mit dem Blut der Märtyrer die Götter entmachtet werden, alle diese Gottheiten, angefangen beim göttlichen Kaiser … Wenn wir genau hinschauen, sehen wir, dass dieser Prozess niemals zu Ende ist. Er verwirklicht sich in verschiedenen Zeiträumen auf immer neue Weise. Auch heute, in diesem Moment, in dem Christus geboren werden muss für die Welt durch den Sturz der Götter, durch das Leid, das Martyrium der Zeugen … Im Schmerz der Heiligen, im Schmerz der Gläubigen, der Mutter Kirche, zu der wir gehören, müssen die Götter stürzen.“
Angesichts der Christenverfolgungen, die in den vergangenen Jahren im Nahen Osten zugenommen haben, sind die Worte des Heiligen Vaters geradezu prophetisch. Aber auch im Westen muss die Kraft der Gläubigen immer wieder die falschen Götter entlarven, sei es das Kapital, den Konsum, die sexuelle Freizügigkeit oder andere Fehlformen, die das Leben von Menschen zerstören. Papst Benedikt XVI. erinnert an das Bild der Johannesoffenbarung, in dem der Drache (das Sinnbild der lebensfeindlichen Mächte) der Frau (dem Sinnbild der Mutter Kirche) einen Wasserstrom nachspeit, der sie verschlingen soll, sich aber dann die Erde öffnet und das Wasser aufnimmt (vgl. Offb 12,15-16). Dazu führt er aus:
„Ich denke, dieser Strom ist leicht zu deuten: es handelt sich um jene Strömungen, die alle beherrschen und die den Glauben der Kirche verschwinden lassen wollen, für den kein Platz mehr zu sein scheint vor der Macht dieser Strömungen, die sich als die einzige Vernünftigkeit aufdrängen, als die einzige Lebensweise. Und die Erde, die diese Strömungen absorbiert, ist der Glaube der einfachen Menschen, der sich nicht von diesen Strömen fortreißen lässt, und die Mutter rettet und den Sohn rettet. Daher heißt es im Psalm: ‚Der Glaube der einfachen Menschen ist die wahre Weisheit‘ (vgl. Ps 118,130). Diese wahre Weisheit des Glaubens, der sich nicht von den Strömen verschlingen lässt, ist die Kraft der Kirche. Und so sind wir wieder beim marianischen Geheimnis angelangt.“
Und der Heilige Vater schließt mit einem Gebet zu Maria, die als Mutter der Kirche den Glauben Israels durch die Zeiten bewahrt und die auch in unserer Zeit als Mutter, Beschützerin und Hüterin des Glaubens unersetzlich bleibt:
„Du, die große Glaubende, du, die du die Erde dem Himmel geöffnet hast, steh uns bei, öffne auch heute die Türen, damit die Wahrheit siegreich sei, der Wille Gottes, der das wahre Gute ist, das wahre Heil der Welt. Amen.“
© Manuel Schlögl