Aus dem Werk
Jahr des Glaubens 2012/2013
Texte von Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI.
Zum Jahr des Glaubens
Was ist das – der Glaube?
Texte von Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI. zum „Jahr des Glaubens“
Im Laufe von sechzig Jahren als theologischer Lehrer und Priester und in besonderer Weise seit 2005 als Papst Benedikt XVI. hat Joseph Ratzinger viele Male über den Glauben gesprochen, in Predigten, Ansprachen, Büchern und Interviews. Wir wollen im Jahr des Glaubens auf der Homepage der Stiftung Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI. einige seiner Aussagen zum Glauben zugänglich machen. Wir werden zwischen Oktober 2012 und November 2013 in Folge kleine Textzusammenstellungen präsentieren und die Aussagen jeweils unter ein bestimmtes Thema stellen.
Thema 5: Glaube und Liturgie
Das Jahr des Glaubens ist keine bloß akademische Veranstaltungsreihe zur Vertiefung eines bestimmten Themas. Deswegen ist auch der Gottesdienst der Kirche, die Liturgie, nicht ein Thema unter anderen. In den liturgischen Versammlungen kommt der Glaube selbst zum Ausdruck, wird erneuert und gestärkt. Papst Benedikt XVI. ist es ein großes Anliegen, den Glauben als existentielle Größe zu vermitteln. Bei sehr vielen Anlässen während seines bisherigen Pontifikates hat Benedikt XVI. die Bedeutung der Liturgie betont und sie für die heutige Situation der Kirche neu erschlossen. In diesem Sinne sagt er bei der Generalaudienz am 21. November 2012:
„Der Glaube ermöglicht ein echtes Wissen über Gott, das die ganze menschliche Person einbezieht: Es ist ein »sapere«, also ein Erkennen, das dem Leben »sapor«, Geschmack, verleiht – einen neuen Geschmack am Leben, ein freudiges Dasein auf der Welt. Der Glaube kommt in der Selbsthingabe für die anderen zum Ausdruck, in der Brüderlichkeit, die solidarisch und liebesfähig macht und die Einsamkeit, die traurig macht, überwindet. Diese Erkenntnis Gottes durch den Glauben betrifft daher nicht nur den Verstand, sondern das ganze Leben. Sie ist die Erkenntnis Gottes, der die Liebe ist, durch seine eigene Liebe. Die Liebe Gottes läßt erkennen, öffnet die Augen, gestattet es, die ganze Wirklichkeit zu erkennen, über die beschränkten Sichtweisen des Individualismus und des Subjektivismus hinaus, die dem Gewissen die Orientierung nehmen. Die Erkenntnis Gottes ist daher Erfahrung des Glaubens und setzt gleichzeitig einen intellektuellen und einen moralischen Weg voraus: Zutiefst berührt von der Gegenwart des Geistes Jesu in uns überwinden wir die Horizonte unserer Egoismen und öffnen uns gegenüber den wahren Werten des Daseins.“
Gerade dieser Text über den Glauben kann uns Anstoß sein, auch das Liturgieverständnis Joseph Ratzingers / Papst Benedikt XVI. an seiner Wurzel zu fassen. Die Selbsthingabe ist nämlich kein rein menschlich-ethischer Akt, die neue Sicht der Wirklichkeit keine reine intellektuelle Erkenntnis. Am 5. Dezember 2012 betont der Hl. Vater:
„dass der Glaube darin besteht, im Leben die Sicht Gottes auf die Welt anzunehmen, uns von Gott durch sein Wort und seine Sakramente zum Verständnis dessen führen zu lassen, was wir tun sollen, welchen Weg wir beschreiten sollen, wie wir leben sollen.“
Glauben also besteht darin, sich von Gott zu seiner Sicht der Dinge führen zu lassen durch die Grundvollzüge der hl. Liturgie.
Papst Benedikt sagt am 22. Februar 2007 dem Klerus seines Bistums:
„In der Liturgie lehrt uns der Herr beten, indem er uns zuerst sein Wort schenkt und uns dann im Hochgebet in die Gemeinschaft mit seinem Geheimnis des Lebens, des Kreuzes und der Auferstehung einführt. Der hl. Paulus hat einmal gesagt, »wir wissen nicht, worum wir in rechter Weise beten sollen« (Röm 8,26): Wir wissen nicht, wie wir beten sollen, was wir zu Gott sagen sollen. Deshalb hat uns Gott die Worte des Gebets gegeben, sowohl in den Psalmen wie in den großen Gebeten der Heiligen Liturgie, als auch gerade in der eucharistischen Liturgie selbst. Hier lehrt er uns beten. Wir treten in das Gebet ein, das sich im Laufe der Jahrhunderte unter der Inspiration des Heiligen Geistes entwickelt hat, und schließen uns dem Gespräch Christi mit dem Vater an.“
Eintreten in das Gebet Christi – worin besteht dieses Gebet? Papst Benedikt predigt am Pfingstfest 2010:
„Dieses Gebet Christi erreicht seinen Höhepunkt und seine Erfüllung am Kreuz, wo es ganz eins mit der völligen Hingabe wird, mit der er sich selbst darbringt, und auf diese Weise wird sein Beten sozusagen zum Siegel seiner vollen Selbsthingabe aus Liebe zum Vater und zur Menschheit: Anrufung und Schenkung des Heiligen Geistes treffen aufeinander, sie durchdringen sich, sie werden zu einer einzigen Wirklichkeit. »Und ich werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Beistand geben, der für immer bei euch bleiben soll.« In Wirklichkeit ist das Gebet Jesu – jenes beim Letzten Abendmahl und das Gebet am Kreuz – ein Gebet, das auch im Himmel fortdauert, wo Christus zur Rechten des Vaters sitzt. Jesus nämlich lebt sein Priestertum der Fürsprache für das Volk Gottes und die ganze Menschheit immerzu und betet daher für uns alle, indem er den Vater um die Gabe des Heiligen Geistes bittet.“
Gebet Christi und Ausübung seines Priestertums sind also letztlich identisch. Daher bedeutet unser Eintreten Eintreten in das Gebet Christi auch den Eintritt in sein Paschamysterium. Dies bringt eine Betrachtung Benedikt XVI. zu den Verba Testamenti am 11. Januar 2012 zum Ausdruck:
„Liebe Brüder und Schwestern, wenn wir an der Eucharistie teilnehmen, leben wir in außerordentlicher Weise das Gebet, das Jesus für jeden dargebracht hat und unablässig darbringt, auf daß das Böse, dem wir alle im Leben begegnen, nicht siegen und die verwandelnde Kraft des Todes und der Auferstehung Christi in uns wirken möge. In der Eucharistie antwortet die Kirche auf das Gebot Jesu: »Tut dies zu meinem Gedächtnis!« (Lk 22,19; vgl. 1 Kor 11,24–26); sie wiederholt das Dank- und Segensgebet und mit ihm die Worte der Transsubstantiation von Brot und Wein in den Leib und das Blut des Herrn. Unsere Eucharistiefeiern sind ein Hineingezogensein in jenen Augenblick des Betens, in dem wir uns immer wieder mit dem Beten Jesu vereinen. Die Kirche hat von ihren Anfängen an die Wandlungsworte als Teil ihres Betens im Mitbeten mit Jesus aufgefaßt; als zentralen Teil des dankenden Lobpreises, durch den uns die Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit von Gott her neu geschenkt wird als Jesu Leib und Blut, als Selbstschenkung Gottes in der sich öffnenden Liebe seines Sohnes (vgl. Jesus von Nazareth, II, S. 149). Indem wir an der Eucharistie teilnehmen und uns vom Fleisch und vom Blut des Sohnes Gottes nähren, vereinigen wir unser Beten mit dem des Paschalammes in seiner höchsten Nacht, auf daß unser Leben trotz unserer Schwäche und unserer Untreue nicht verloren gehe, sondern verwandelt werde.“
In dieser Verwandlung des Lebens aber besteht letztlich das Ziel eines existentiellen Glaubens.
In einem Abschnitt des Textes zur Generalaudienz vom 31. Oktober 2012 deutet der Hl. Vater die Taufliturgie und das Credo der Messe. An diesem Text lässt sich erkennen, wie die Liturgie einen bevorzugten Ort der Kirchlichkeit des Glaubens darstellt und diese Kirchlichkeit zugleich ermöglicht:
„In der Taufliturgie, im Augenblick der Versprechen, fordert der Zelebrant dazu auf, den katholischen Glauben zum Ausdruck zu bringen, indem er drei Fragen formuliert: Glaubt ihr an Gott, den Vater, den Allmächtigen? Glaubt ihr an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn? Glaubt ihr an den Heiligen Geist? Ursprünglich wurden diese Fragen persönlich an denjenigen gerichtet, der die Taufe empfangen sollte, bevor er dreimal ins Wasser getaucht wurde. Und auch heute steht die Antwort im Singular: »Ich glaube.« Mein Glaube ist jedoch nicht das Ergebnis meiner einsamen Reflexion, er geht nicht aus meinem Denken hervor, sondern er ist Frucht einer Beziehung, eines Gesprächs, in dem es ein Hören, ein Empfangen und ein Antworten gibt; er ist das Kommunizieren mit Jesus, das mich aus meinem in mir selbst verschlossenen »Ich« heraustreten läßt, um mich für die Liebe Gottes, des Vaters, zu öffnen. Es ist wie eine Neugeburt, in der ich entdecke, daß ich nicht nur mit Jesus vereint bin, sondern auch mit allen, die denselben Weg gegangen sind und gehen; und diese Neugeburt, die mit der Taufe beginnt, geht das ganze Leben hindurch weiter. Ich kann meinen persönlichen Glauben nicht in einem privaten Gespräch mit Jesus aufbauen, denn der Glaube wird mir von Gott durch eine gläubige Gemeinschaft, die Kirche, geschenkt, und stellt mich so hinein in die Menge der Gläubigen in einer Gemeinschaft, die nicht nur soziologisch, sondern in der ewigen Liebe Gottes verwurzelt ist, die in sich selbst Gemeinschaft des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes ist, die dreifaltige Liebe ist. Unser Glaube ist nur dann wirklich persönlich, wenn er auch gemeinschaftlich ist: Er kann nur dann mein Glaube sein, wenn er im »Wir« der Kirche lebt und sich bewegt, nur wenn er unser Glaube ist, der gemeinsame Glaube der einen Kirche.
Wenn wir sonntags in der heiligen Messe das Glaubensbekenntnis sprechen, dann drücken wir uns in der ersten Person aus, bekennen aber gemeinschaftlich den einen Glauben der Kirche. Dieses einzeln ausgesprochene »Ich glaube« vereint sich mit dem eines enormen Chors an allen Orten und zu allen Zeiten, in dem jeder sozusagen zu einer harmonischen Polyphonie im Glauben beiträgt. Der Katechismus der Katholischen Kirche faßt es deutlich zusammen: »›Glauben‹ ist ein kirchlicher Akt. Der Glaube der Kirche geht unserem Glauben voraus, zeugt, trägt und nährt ihn. Die Kirche ist die Mutter aller Glaubenden. ›Niemand kann Gott zum Vater haben, der die Kirche nicht zur Mutter hat‹ (Cyprian, unit. eccl.)« (Nr. 181). Der Glaube entsteht also in der Kirche, führt zu ihr hin und lebt in ihr. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern.“
Auch von hierher eröffnet der Hl. Vater in derselben Generalaudienz mit einem Zitat aus den Lehren des II. Vatikanischen Konzils einen schönen Blick auf die innige Verbindung zwischen Glauben und Liturgie:
„Es gibt ein ununterbrochenes Band des kirchlichen Lebens, der Verkündigung des Wortes Gottes, der Feier der Sakramente, das bis zu uns reicht und das wir Tradition nennen. Sie ist uns dafür die Garantie, daß das, woran wir glauben, die ursprüngliche Botschaft Christi ist, die von den Aposteln verkündigt wurde. Der Kern der ursprünglichen Verkündigung ist das Ereignis des Todes und der Auferstehung des Herrn, aus dem das ganze Erbe des Glaubens hervorgeht. Das Konzil sagt: »Daher mußte die apostolische Predigt, die in den inspirierten Büchern besonders deutlichen Ausdruck gefunden hat, in ununterbrochener Folge bis zur Vollendung der Zeiten bewahrt werden« (Dogmatische Konstitution Dei Verbum, 8). Wie also die Heilige Schrift das Wort Gottes enthält, so bewahrt die Tradition der Kirche dieses Wort und gibt es treu weiter, damit die Menschen zu jeder Zeit auf seine unendlichen Ressourcen zurückgreifen und an seinem Gnadenreichtum teilhaben können. »So führt die Kirche in Lehre, Leben und Kult durch die Zeiten weiter und übermittelt allen Geschlechtern alles, was sie selber ist, alles, was sie glaubt« (ebd.).“
In seinem Nachsynodalen Schreiben Sacramentum Caritatis(22. Februar 2007) schreibt der Papst:
„Glaube und Sakramente sind zwei sich gegenseitig ergänzende Aspekte des kirchlichen Lebens. Durch die Verkündigung des Wortes Gottes erweckt, nährt sich der Glaube und wächst in der gnadenreichen Begegnung mit dem auferstandenen Herrn, die sich in den Sakramenten verwirklicht: ‚Der Glaube drückt sich im Ritus aus, und der Ritus stärkt und festigt den Glauben.‘
Immer wieder stellt Benedikt XVI. einen Zusammenhang her zwischen der Schönheit (in) der Liturgie und dem Glauben.
Bei der Weihe der Kirche Sagrad Familia am 7. November 2010 predigt Papst Benedikt:
„Was bedeutet es, diese Kirche zu weihen? Mitten in der Welt, im Angesicht Gottes und der Menschen, haben wir in einem demütigen und freudigen Glaubensakt ein immenses Bauwerk errichtet, Frucht der Natur und unermeßlicher Anstrengungen der menschlichen Intelligenz, der Erbauerin dieses Kunstwerks. Es ist ein sichtbares Zeichen des unsichtbaren Gottes, zu dessen Ehre diese Türme emporragen: Wie Pfeile verweisen sie auf das Absolute des Lichts und dessen, der das Licht, die Erhabenheit und die Schönheit selbst ist.
In diesem Raum wollte Gaudí die Eingebung zusammenfassen, die er aus den drei großen Büchern erhielt, aus denen er als Mensch, als Gläubiger und als Architekt Nahrung zog: das Buch der Natur, das Buch der Heiligen Schrift und das Buch der Liturgie. So vereinte er die Wirklichkeit der Welt und die Heilsgeschichte, wie sie uns durch die Bibel berichtet und in der Liturgie vergegenwärtigt wird. Er nahm Steine, Bäume und menschliches Leben in den Sakralbau hinein, um die ganze Schöpfung auf das göttliche Lob auszurichten, aber gleichzeitig brachte er die Retabel hinaus, um den Menschen das Geheimnis Gottes vor Augen zu führen, das in der Geburt, im Leiden, im Tod und in der Auferstehung Jesu Christi offenbart wird. So wirkte er auf geniale Weise am Aufbau eines menschlichen Bewußtseins mit, das in der Welt verankert, offen für Gott und von Christus erleuchtet und geheiligt ist. Und er verwirklichte das, was heute zu den wichtigsten Aufgaben gehört: die Überwindung der Spaltung zwischen menschlichem und christlichem Bewußtsein, zwischen der Existenz in dieser zeitlichen Welt und der Öffnung zum ewigen Leben, zwischen der Schönheit der Dinge und Gott als der Schönheit selbst.“
© P. Sven Conrad FSSP