• Achim Buckenmaier
    Theologie als Leitung. Seit fünf Jahren ist Benedikt XVI. im Amt

Achim Buckenmaier
Universale Kirche vor Ort – zum Verhältnis von Universalkirche und Lokalkirche
Der Disput zwischen Joseph Ratzinger und Walter Kasper über das Verhältnis von Universalkirche und Ortskirchen stieß auch in der Öffentlichkeit auf große Resonanz. Bis heute finden viele innerkatholische Konflikte auf der Grenzlinie zwischen Gesamtkirche und Lokalkirche statt, meist als Frage nach den Kompetenzen: Welche Rechte hat „Rom“? Welche Selbstständigkeit haben die Bischöfe? Hier wird zum ersten Mal der Versuch unternommen, den berühmt gewordenen „Disput der Kardinäle“ zum Ausgangspunkt für einen Perspektivwechsel zu nehmen. Dabei wird in klarer Sprache ein Panorama katholischer Ekklesiologie entfaltet, das einen neuen Blick auf den ursprünglichen Auftrag der Kirche, auf ihre Universalität und ihre Konkretheit ermöglicht.
Regensburg (Pustet) 2009
444 Seiten
ISBN 978-3-7917-2193-4
EUR 44.00

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Prof.Dr. Achim Buckenmaier

Theologie als Leitung
Seit fünf Jahren ist Benedikt XVI. im Amt

Seit fünf Jahren ist Benedikt XVI. im Amt
Wenn sich am kommenden Montag, dem 19. April, zum fünften Mal die Wahl Joseph Ratzingers zum Papst jährt, begeht Benedikt XVI. seinen Jahrestag in einer für die Kirche nicht gerade einfachen Situation. Wie leitet der Papst die Kirche in dieser Lage? Wie leitet er sie seit seinem Amtsantritt im Frühjahr 2005? Am 19. März schrieb der Papst seinen Brief an die Katholiken Irlands zu den Pädophilie-Fällen. In diesem Schreiben zeigt sich erneut ein Grundzug der Amtsauffassung Joseph Ratzingers. Er setzt auf Wahrheit und spricht eine klare Sprache. Im Brief an die Iren erinnert er auch an die Geschichte der Kirche auf der Grünen Insel, denn er versteht das theologische Nachdenken der Geschichte als wesentlichen Teil seiner Aufgabe, die Katholische Kirche zu leiten.
Das Lehren ist eine der verschiedenen Aufgaben des Bischofsamtes. Man muß diese Dimension des Bischofsamtes sehen, damit man versteht, warum Benedikt XVI. solche Briefe schreibt und sein Amt besonders als theologischer Lehrer ausfüllt. Es geht nicht um eine Alternative: entweder Theologie treiben oder die Kirche leiten. Es geht dem Papst offensichtlich um Leitung durch Theologie. „Schon wer ein Gerät verbessern, und erst recht, wer einen Organismus heilen will, muß zuerst erkunden, wie das Gerät konstruiert, oder wie der Organismus von innen her gebaut ist“, schrieb Joseph Ratzinger bereits vor 20 Jahren. Zu zeigen, wie der Organismus gebaut ist, darum bemüht sich der Theologe auf dem Papststuhl.

Für Benedikt XVI. ist Christentum eine Geschichte von Personen
Es gibt zwei wichtige Grundformen, die der Papst in diesem Bauplan sieht. Seit seinem Amtsantritt im April 2005 hält Benedikt XVI. jeden Mittwoch (mit Ausnahme der Ferien oder Reisen) die sogenannten „Generalaudienzen“ auf dem Petersplatz oder in der Aula Paolo VI (Paolo Sesto), im Sommer mit rund 30.000 Pilgern und Gästen pro Mittwoch. Jedesmal hält er eine ca. 20 minütige Katechese.
Benedikt XVI. begann bald damit, über Personen der Heilsgeschichte zu sprechen. Seit fünf Jahren spricht er jeden Mittwoch über eine Person aus der Kirchengeschichte, manchmal auch drei oder fünf Mittwoche über eine einzelne Person. Zuerst über die zwölf Apostel, dann sprach er über Paulus ein ganzes Jahr lang jeden Mittwoch, über dessen Weg und Theologie. Dann kamen die Kirchenväter, die Theologen der ersten Jahrhunderte. Jetzt ist er bei den großen Heiligen, Frauen und Männern, den Theologen und Ordensgründern des Mittelalters angekommen. Franziskus, Antonius, Bonaventura.
Benedikt XVI. erzählt und deutet die Kirchengeschichte als eine Geschichte von Personen. Die Kirche ist auf Menschen gebaut, nicht auf abstrakte Prinzipien. Gott geht eine Geschichte mit Menschen ein. Sie sind es, die in Treue, gegen Widerstände, unter Verfolgungen und durch ihr Vertrauen auf Gott diese Geschichte weitertragen und neue Erfahrungen gewinnen. Deshalb redet Benedikt XVI. nicht über bloße Lehren und Ideen, sondern über einfache Leute, Fischer aus Israels, Bettelmönche, Ehepaare.
Und noch ein zweites ist interessant: Der Papst redet immer wieder von der Gemeinschaft dieser Personen: Bei den Ordensleuten von ihren Versuchen, das gemeinsame Leben der Apostel wiederzugewinnen, bei Paulus an vielen Mittwochen über seine Mitarbeiter und die Gemeinden, die er sammelte. Ganz klar sind die Gemeinden des Anfangs, wie sie in der Apostelgeschichte beschrieben werden, für ihn das Modell der Kirche. Am 7. Februar 2007 sagte Benedikt XVI. über das Ehepaar Aquila und Priska, ein Unternehmerehepaar, das Paulus in Korinth und Ephesus einen Arbeitsplatz bot: „Als der Apostel Paulus aus Ephesus seinen Ersten Brief an die Korinther schreibt, sendet er zusammen mit den eigenen Grüßen ausdrücklich auch die von »Aquila und Priska und ihrer Hausgemeinde« (1 Kor 16,19). So erfahren wir von der sehr bedeutsamen Rolle, die dieses Paar im Bereich der Urkirche spielte: Sie nahmen in ihrem Haus die Gruppe der ortsansässigen Christen auf, wenn sie sich versammelten, um das Wort Gottes zu hören und die Eucharistie zu feiern. Gerade jene Art von Zusammenkunft ist es, die auf Griechisch »ekklesía« genannt wird – auf Deutsch sagen wir: »Kirche« –, was Einberufung, Versammlung, Zusammenkunft heißt. Im Haus von Aquila und Priska versammelt sich also die Kirche. Hier, in der ersten Hälfte des ersten Jahrhunderts und im zweiten Jahrhundert, werden die Häuser der Christen »Kirche « im wahren Sinn.“ So weit der Papst.

In der Kirche des Anfangs sieht der Papst das Modell
Mit den Kirchenvätern sieht Benedikt XVI. in dieser Form der Kirche das Muster, die Herausforderung für heute. Das ist in der Verkündigung der Päpste ein neuer Ton. Zum ersten spricht ein Papst der Neuzeit so deutlich und so oft wieder davon, daß die Gemeinden des Anfangs das Modell sind.
Er spricht nicht in der Form von Aufrufen und Ermahnungen. Denn es reicht nicht aus, Appelle an einzelne Menschen oder an die Menschheit als ganzes zu richten. Die Gemeinden in der Kirche des Anfangs waren dadurch Appelle an die Gesellschaft, daß in ihnen die Christen ein anderes gesellschaftliches Leben führten. Über den Theologen Johannes Chrysostomus sagte der Papst in der Katechese am 26. September 2007: „Er schlägt gerade in Konstantinopel das Modell der Urkirche (Apg 4,32–37) als Modell für die Gesellschaft vor, indem er eine soziale »Utopie« (gleichsam eine »ideale Stadt«) entwickelt. Mit anderen Worten, Chrysostomus hat verstanden, daß es nicht ausreicht, Almosen zu geben, den Armen von Mal zu Mal zu helfen, sondern daß es notwendig ist, eine neue Struktur, ein neues Gesellschaftsmodell zu schaffen; ein Modell, das auf der Perspektive des Neuen Testaments beruht. Es ist die neue Gesellschaft, die sich in der entstehenden Kirche offenbart.“
Der Anfang der Kirche bildet eine sichere Norm: „Wenn wir die Apostelgeschichte und die Briefe lesen, die Paulus an verschiedene Empfänger richtet, erkennen wir das Modell der Kirche“, schreibt Benedikt XVI. zum Welttag der Migranten 2009.
Die Beispiele ließen sich vermehren. Sie zeigen das Vertrauen Joseph Ratzingers in das Maß, das am Anfang der Kirche durch Gottes Geist gesetzt ist. Die Ansprachen sind, wie viele andere Briefe, Reden, Adressen und Predigten von Benedikt XVI. Ausdruck seiner Sicherheit, daß das „Wort“ weiterwirkt, ein Wort, das in eine Gemeinschaft hineinführt.
Benedikt XVI. leitet die Kirche seit fünf Jahren – zu einem nicht geringen Teil tut er dies durch Theologie. Theologie muß den Bauplan zeigen und die Geschichte deuten als Wegweiser und Schatztruhe mit Erfahrungen für heute. Katechesen, Briefe, Antworten bei Treffen mit Erstkommunionkindern, Jugendlichen oder Priestern und das Jesus-Buch haben nicht die Verbindlichkeit von Dekreten, Gesetzen und Verordnungen, schon gar nicht die von Dogmen. Sie lassen den Hörer in gewisser Weise frei. Sie wollen durch Überzeugen gewinnen. Das ist auf den ersten Blick eine Schwäche in der Kirchenleitung Benedikts XVI. Wenn er auf Katholiken, Theologen wie Nichttheologen trifft, die ihn hören und lesen, kann es eine Stärke sein. 1

1 Im Internet sind alle Ansprachen leicht und zeitnah auch in Deutsch zug änglich: www.vatican.va


© Prof. Dr. Achim Buckenmaier, Rom, für „Konradsblatt“ Freiburg, 2010