RÜCKSCHAU
Schülerkreise in Castelgandolfo 2012
Fotos:© Michael Hofmann
Schon zum achten Mal seit Beginn seines Pontifikats traf sich Papst Benedikt XVI. Anfang September in Castelgandolfo mit seinem Schülerkreis und zum fünften Mal mit dem „Neuen Schülerkreis“.
Wie die seit mehr als drei Jahrzehnten durchgeführten Tagungen bedeutete auch dieses Treffen einen Austausch mit hochrangigen Wissenschaftlern, vor allem Theologen, über aktuelle Fragen des Glaubens und der Theologie.
Das Thema lautete: Ökumenische Ergebnisse und Fragen im Gespräch mit Luthertum und Anglikanismus vor allem im Blick auf „Die Früchte ernten. Grundlagen christlichen Glaubens im ökumenischen Dialog“. Als Referenten waren im Blick auf das Luthertum zwei evangelisch-lutherische Theologen eingeladen,
Bischof i. R. Prof. em. Ulrich Wilckens, und Prof. Theodor Dieter, Direktor des Straßburger Instituts für ökumenische Forschung, im Blick auf den Anglikanismus der katholische Bischof von Lausanne, Genf und Fribourg, Prof. em. Charles Morerod.
Aber das Treffen war doch mehr als ein theologisches, ökumenisches Gespräch. Es hatte wie die früheren Tagungen des Kreises zugleich eine spirituelle Prägung durch die tägliche Feier der Eucharistie, bei der die Predigt nicht fehlen darf, und durch das kirchliche Gotteslob am Morgen und Abend. Am Beginn des Treffens stand Bischof Barthélemy Adoukonou, Sekretär des Päpstlichen Rates für die Kultur und Mitglied des Schülerkreises, zum ersten Mal als Bischof in unserer Mitte der Eucharistie vor, am Samstag feierte Kardinal Kurt Koch, Präsident des Rates für die Einheit der Christen, die heilige Messe mit uns. Am Sonntag stand Papst Benedikt selbst der Feier der Eucharistie vor und legte uns in bewegender Weise das Wort Gottes aus.
Für Benedikt XVI. und seine Schüler haben diese Tagungen über die Jahre hinweg auch eine ganz persönliche Note bekommen. Bei der Begrüßung führt er mit jedem und jeder von uns ein kleines Zwiegespräch, bei dem er sich für alles interessiert, was wir ihm erzählen und was uns bewegt; beim Neuen Schülerkreis liegt ihm besonders daran, etwas über den Stand der wissenschaftlichen Arbeiten der jungen Theologen zu erfahren. Früher, als Kardinal, hatte er sich bei solchen Treffen immer auch Zeit für persönliche Aussprachen reserviert, da der eine oder andere mit ihm besondere Sorgen oder Freuden besprechen wollte.
Die Note eines geistlich geprägten Treffens bekommen solche Tage auch dadurch, dass wir vor dem Zusammentreffen mit dem Heiligen Vater uns über eigene theologische Arbeiten, über wichtige Erlebnisse und pastorale Erfahrungen im zurückliegenden Jahr austauschen. So gibt auch Papst Benedikt seit vielen Jahren einen Bericht über Ereignisse, die ihn im vergangenen Jahr besonders bewegten. Diesmal sprach er vor allem über die Reisen nach Benin, nach Mexico und Kuba, aber auch über das Treffen der Familien in Mailand. Bei diesen Begegnungen erlebte er etwas von der Glaubensfreude der Gläubigen, aber auch von ihrer Dankbarkeit, dem Stellvertreter Christi begegnen zu dürfen. Es waren Erfahrungen, die ihn ermutigten.
Die diesjährige Tagung bekam einen besonderen Akzent mit der Übergabe zweier Bücher an unseren Meister. Das Geschenk des Schülerkreises war der Tagungsbandes des Treffens von 2010 mit dem Titel „Das Zweite Vatikanische Konzil. Die Hermeneutik der Reform“ (Augsburg 2012), das Geschenk des Neuen Schülerkreises der Tagungsband eines Symposiums in Freiburg i.Br. zum Thema „Ein hörendes Herz. Hinführung zur Theologie und Spiritualität von Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI.“ (Ratzinger-Studien 5, Regensburg 2012).
Als Sprecher des Neuen Schülerkreises hatten ihm übrigens
PD PD Dr. Michaela C. Hastetter und Professor Christoph Ohly schon zum 85. Geburtstag als Gemeinschaftswerk dieses Kreises einen Beitrag zum Konzilsjubiläum überreichen können: „Symphonie des Wortes. Beiträge zur Offenbarungskonstitution ,Dei Verbum’ im katholisch-orthodoxen Dialog. Festgabe des Neuen Schülerkreises zum 85. Geburtstag von Papst Benedikt XVI. (St. Ottilien 2012). Eine besonders wertvolle Dankesgabe hatte der Schülerkreis dem Papst beim Treffen in Castelgandolfo drei Jahre zuvor schenken können: die große Bibliographie von Joseph Ratzinger „Das Werk. Veröffentlichungen bis zur Papstwahl. Bibliographisches Hilfsmittel zur Erschließung des literarisch-theologischen Werkes von Joseph Ratzinger bis zur Papstwahl“, redigiert von seinem kürzlich verstorbenen Schüler Professor Vinzenz Pfnür (Augsburg 2009).
Am Sonntagnachmittag erlebten Teilnehmer beider Schülerkreise einen bemerkenswerten Dialog mit den beiden evangelisch-lutherischen Theologen, Altbischof Professor em. Ulrich Wilckens und Professor Theodor Dieter. Es war ein von echter Lauterkeit geprägtes Gespräch ganz im Geist unseres theologischen Lehrers Joseph Ratzinger, in dessen Schule auch eine Spiritualität des theologischen Diskurses gereift ist. Man kann sie mit ein paar Stichworten etwa so charakterisieren: einerseits volle Freiheit der Meinungsäußerung, Aufmerksamkeit auf den Beitrag des anderen, vor allem aber Suche nach der Wahrheit, andererseits ein theologisches Bemühen, dessen Basis die Heilige Schrift und die Kirchenväter sind, eine Offenheit für alle große Theologie, ein Mitdenken mit der Kirche und zugleich ein Hinhören auf die Fragen der Zeit und ihrer bedenkenswerten Einsichten. So sind wir dankbar für das Wort von Altbischof Wilckens, der vom ökumenischen Austausch des diesjährigen Treffens sagte, es seien „geistlich großartige Gespräche“ gewesen.
Es legt sich nahe, ein Wort über den Neuen Schülerkreis hinzuzufügen. Er verdankt sich letztlich der Bereitschaft des Schülerkreises, die Theologie seines Meisters in die Zukunft zu tragen, sie lebendig zu erhalten und fruchtbar werden zu lassen. Sein Entstehen ist deshalb mit der Gründung der „Joseph Ratzinger Papst Benedikt-Stiftung“ verbunden, welche eben diese Ziele verfolgt. Papst Benedikt hat die Überlegung, einen solchen jungen Schülerkreis zu gründen, lebhaft bejaht. Seit 2008 nimmt der Kreis, der inzwischen 30 Mitglieder zählt, an den Treffen in Castelgandolfo teil, wenngleich sich das theologische Gespräch mit dem Heiligen Vater im Rahmen des Schülerkreises vollzieht, den man seine theologische Familie nennen könnte: der Gruppe der Doktoranden und Habilitanden, die er in Bonn, Münster, Tübingen und Regensburg als Doktorvater begleitet hat und die sich dort 1978 zum ersten Mal gemeinsam trafen. Die Mitglieder des Neuen Schülerkreises sind ausgewählte junge Wissenschaftler aus unterschiedlichen Ländern und Kontinenten, die sich in ihren Arbeiten besonders der Theologie von Joseph Ratzinger zuwenden. In diesem Jahr konnten drei neue Mitglieder vorgestellt werden: Mary McCaughy (Irland), Stefanos Athanasiou (griechisch-orthodox, derzeit Schweiz) sowie Anthony Valle (USA, derzeit Deutschland).
P. Stephan Otto Horn