RÜCKSCHAU
Schülerkreise in Castelgandolfo 2010

Fotos: Michael Hofmann

RÜCKSCHAU

Peter Kuhn (Hg.)
Gespräch über Jesus
Papst Benedikt XVI. im Dialog mit Martin Hengel, Peter Stuhlmacher und seinen Schülern in Castelgandolfo 2008. Im Auftrag der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung.
Erscheinungsjahr: 2010,
Mohr Siebeck
ISBN 978-3-16-150441-9

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Schülerkreise in Castel Gandolfo Bericht 2016

Treffen in Castel Gandolfo und Begegnung mit Papst Benedikt an der Lourdes-Grotte im Vatikan. Fotos:© Michael Hofmann

Bereits zum achten Mal traf sich der Neue Schülerkreis Joseph Ratzinger / Papst Benedikt XVI. gemeinsam mit dem Schülerkreis des emeritierten Papstes zum zentralen jährlichen Treffen in Castel Gandolfo. Radio Vatikan und andere katholische Medien hatten zeitnah darüber berichtet. Der Neue Schülerkreis ist dankbar dafür, daß er dabei zum ersten Mal das volle Programm gemeinsam mit dem Schülerkreis durchführen konnte. Somit stand dieses Treffen ganz deutlich im Zeichen eines immer weiter fortschreitenden Zusammenwachsens der beiden Schülerkreise. Kardinal Schönborns voller Terminkalender ließ immerhin einen Kurzbesuch bei den Schülerkreisen zu. Der Protektor des Neuen Schülerkreises Kardinal Koch eröffnete die Tagung mit der hl. Messe und nahm am gesamten Treffen teil.

Der emeritierte Papst Benedikt hatte als Thema der Tagung Europa und seine spirituelle Krise ausgewählt – bekanntlich eine Problematik, die ihm besonders am Herzen liegt. Mit dem US-amerikanischen Juristen Prof. Joseph H.H. Weiler (Jg. 1951), Präsident des „Istituto Universitario Europeo“ in Florenz, und dem emeritierten Bischof von Graz-Seckau Dr. Egon Kapellari (Jg. 1936) sprachen erneut hochkarätige Referenten. Erkennbar auf der Grundlage jahrzehntelanger Reflexion und Erfahrung auf verschiedenen Ebenen berichteten sie kompetent und treffend über die Situation in Europa und der EU. Prof. Dr. Weiler ließ sein vorbereitetes Redemanuskript beiseite und konnte uns mit einem völlig frei gehaltenen Vortrag in englischer Sprache begeistern. Bei seiner Analyse über den Zustand Europas bezog er sich kaum auf die politische Instanz EU, sondern widmete sich dem, was dem Kontinent als solchem eigen sei. Weiler setzte beim „demographischen Suizid“ Europas an, der Ausdruck einer geistlichen Sinnkrise sei. Es gebe kein Vertrauen mehr in die Zukunft, und ins Zentrum rücke immer mehr egoistisches Denken. Der Philosoph sieht dies als eine direkte Folge der Situation nach dem Zweiten Weltkrieg. Begriffe wie Patriotismus seien seitdem negativ besetzt und immer mehr trete ein merkantilistisches Denken in den Vordergrund, bei dem die Bürger sich als „Kunden einer Kooperation“ betrachteten und die Wahlen als einer Art Eigentümerversammlung. Rechte würden eingefordert und politisch gehandelt, von Pflichten sei nicht mehr die Rede. Rechte würden zum Selbstzweck und innerlich entleert. Wichtig war Prof. Weiler der Begriff der „Identität“, der heute in die Krise geraten sei. Als Irrtum kritisierte er dabei die weit verbreitete Idee, daß jedes Sich-Unterscheiden schon als Diskriminierung aufgefasst würde. Eindringlich betonte er Europas „Seele“, seine bleibende und absolut notwendige Identität: Sie besteht nicht nur in der Philosophie und Anthropologie Hellas’ und im Rechtsgedanken des antiken Rom, sondern auf diesen gründend auch in der überragenden Rolle der jüdisch-christlichen Tradition. Diese Wurzeln haben Europa in der ihm eigentümlichen Gestalt hervorgebracht. Weiler betonte Europa als „Schicksalsgemeinschaft“, die es wiederzuentdecken gelte.

Erstaunlich und faszinierend waren die Aussagen Weilers über die fundamentale Bedeutung des Christentums nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass Weiler überzeugter und praktizierender Jude ist, wie Papst Benedikt bei einem Treffen mit ausgewählten 16 Mitgliedern der beiden Schülerkreise in den Vatikanischen Gärten zurecht heraushob. Den katholischen em. Papst und den jüdischen Professor verbindet ausdrücklich und spürbar höchste gegenseitige Wertschätzung.

Bischof Kapellari legte eine „general-, epoche- und kirchendiagnostische“ Gesamtschau der Situation Europas vor. Mit Blaise Pascal und Benedikt XVI. forderte er für Europa u.A. ein Leben und Denken gemäß der Annahme, daß es Gott gäbe. Ein Europa nur auf rechtlichen und marktwirtschaftlichen Grundlagen könne nicht überleben. Das Bild vom „Salz in der Suppe“ illustrierte eindrucksvoll, wie stark Minderheiten wie das Christentum wirken können. Mit Markus Danner appellierte er: Es kommt auf Dich an! Bischof Kapellari plädierte mit Blick auf die praktische Frage der Immigrationsbewegung für einen „realistischen Idealismus“, der nicht identisch sei mit den Regeln einer gutgemeinten „political correctness“. Mit Bundesverfassungsrichter a. D. Udo di Fabio betonte er, ein Staat brauche die Kontrolle über seine Grenze, die Zusammensetzung der Bevölkerung und die eigene Staatsgewalt. Der Bischof erinnerte an den christlichen Hintergrund der EU und forderte die Bischöfe zu einer kritischen Solidarität auf. Gesondert behandelte er die Fragen des Lebensschutzes. Es gehe darum, Europa eine Seele zu geben.

Der Samstag war der Diskussion gewidmet: Der Neue Schülerkreis wird sich auf Wunsch des emeritierten Papstes hin die äußere Struktur eines Vereins geben. Für den Schülerkreis hat es aufgrund seiner unterschiedlichen Geschichte keine solche Struktur gebraucht. Kardinal Koch hat dazu mit Fachleuten Statuten ausgearbeitet, die der em. Papst ausdrücklich gutgeheißen hat. Diese Satzung wurde in beiden Schülerkreisen zunächst getrennt und dann gemeinsam erörtert. Auf der Grundlage der gemeinsam erarbeiteten Verbesserungen soll der Wunsch des emeritierten Papstes nun fortschreitend umgesetzt werden.

Die Berichte und Aussprachen über diverse Ratzinger-Tagungen weltweit brachten weitere Erkenntnisse, z.B. das unvermindert wachsende Interesse methodistischer und orthodoxer Christen und Theologen am Denken Joseph Ratzingers.

Der Ort der Sommerresidenz der Päpste mit seinem im Vergleich zur Ewigen Stadt etwas kühleren Klima entsprach dem harmonischen Klima des Treffens und begünstigte es. Theologische Gespräche fanden oft einen abendlichen Ausklang bei einem Eis auf der Piazza vor der Sommerresidenz der Päpste.

P. Dr. Daniel Eichhorn FSSP / P. Lic. Sven Leo Conrad FSSP