Foto: ©Michael Hofmann

„Ohne das Umsonst der Güte, ohne das Umsonst der Vergebung kann keine Gesellschaft gedeihen. Die größten Dinge des Lebens – die Liebe, die Freundschaft, die Güte, die Vergebung – die können wir nicht bezahlen: Die sind umsonst, wie Gott uns umsonst beschenkt. „

Papst Benedikt XVI. und sein Schülerkreis
Kardinal Kurt Koch

Das Zweite Vatikanische Konzil

Die Hermeneutik der Reform

St. Ulrich Verlag
ISBN 978-3-86744-175-9
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Predigt Seiner Heiligkeit Papst emeritus Benedikt XVI. am
1. September 2013 in der Eucharistiefeier mit seinem Schülerkreis in der Kapelle des Governatorato, Vatikanstadt

22. Sonntag im Jahreskreis:
Sir 3,17-18.20.28-29; Ps 67; Hebr 12,18-19.22-24; Lk 14,1.7-14.

Liebe Schwestern und Brüder!
Der Herr beobachtet zu Beginn dieses festlichen Mahles beim Pharisäer, wie die Menschen sich nach den besten Plätzen drängen, und es wird Ihm zum Gleichnis: für die Geschichte, für das Leben der Menschen überhaupt. Alle suchen nach dem guten Platz in der Geschichte, jeder will am Tisch des Lebens einen guten Platz finden. Die Frage ist nur: Welcher Platz ist gut, und welcher ist richtig? Da mag uns das Wort des Herrn aus dem vorherigen Evangelium des vorigen Sonntags in den Sinn kommen: Erste werden Letzte und Letzte werden Erste sein (Lk 13,30). Ein scheinbar guter Platz kann sich als sehr schlechter Platz erweisen. Und wir wissen, dies geschieht manchmal nicht erst beim Letzten Gericht, sondern schon mitten in dieser Welt. Wir haben selbst in den letzten Jahrzehnten sehen können, wie Erste gestürzt sind, plötzlich Letzte waren und der scheinbar gute Platz sich als ein verfehlter Platz erwies.

Jesus kommt auf das gleiche Problem noch einmal zurück in den Gesprächen am Tisch des Letzten Abendmahls. Da stritten die Jünger darüber, wer von ihnen wohl der Größte sei (Lk 22,24ff). Auch da ist also wieder das gleiche Drängen nach den obersten, nach den scheinbar guten Plätzen. Jesus sagt zu ihnen: „Wer ist eigentlich größer: Der, der bei Tisch sitzt oder der, der bedient?“. „Natürlich der, der bei Tisch sitzt.“ „Aber ich bin bei euch wie der, der bedient“ (Lk 22,27). Und so sagt er uns: Der gute Platz ist der Platz an der Seite Jesu, der Platz der an Ihm sein Maß nimmt. Da mag uns das 4. Kapitel des 1. Korintherbriefs einfallen. Paulus spricht da zuerst mit einer gewissen Bitterkeit, die sich dann doch in Zustimmung umwandelt: Ich habe den Eindruck, Gott hat uns Apostel auf den letzten Platz gestellt… Ihr seid stark, wir sind schwach; ihr seid gescheit, wir sind dumm. Wir sind ein Spektakel für die Engel und die Menschen, ein Abscheu für die Welt. Wir werden beschimpft und wir segnen (vgl.
1 Kor 4,9-12). Der Apostel als der Erste, der Gesandte Christi, ist der letzte in der Meinung der Welt, und gerade so ist er nahe bei Jesus, ist er im Maße Jesu. Wer in dieser Welt und in dieser Geschichte vielleicht nach vorn gedrängt wird, auf die ersten Plätze kommt, muss wissen, dass er in Gefahr ist; er muss umso mehr auf den Herr hinschauen, an Ihm sich messen, messen an der Verantwortung für den anderen, muss einer werden, der dient, den anderen zu Füßen, der segnet und so selbst ein Gesegneter wird. Ich denke, dies alles muss uns durch das Herz gehen, wenn wir auf den hinschauen, der der Erstgeborene der Schöpfung ist, aber der im Stall geboren wurde und am Kreuz starb. Der Platz bei Ihm, der Platz nach Seinem Maß ist der richtige Platz. Und welchen Platz auch immer die Geschichte uns zuweisen mag – entscheidend ist die Verantwortung vor Ihm, ist die Liebe, die Gerechtigkeit und die Wahrheit.

In diesem Evangelium, heute, gebraucht der Herr nicht das Bild vom Ersten und vom Letzten, sondern von der Erhöhung und der Erniedrigung: „Wer sich erhöht, wird erniedrigt, und wer sich erniedrigt, wird erhöht“ (Lk 14,11). Dahinter hören wir den Christushymnus, den uns der Philipperbrief überliefert hat: Christus war Gott gleich, aber er ist herabgestiegen… Und gerade deshalb hat Gott Ihn erhöht zum Namen über alle Namen (vgl. Phil 2,6–9). Der Abstieg Jesu von der Höhe Gottes in die äußerste Erniedrigung des Menschen ist der Akt der sich umsonst verschenkenden Liebe. So drückt sich gerade in diesem „Abstieg“ das Wesen Gottes selber aus. Wir sind auf dem Weg Christi, auf dem richtigen Weg, wenn wir wie Er Absteigende zu werden versuchen. Nur so steigen wir zu der wahren Größe auf, zur Größe Gottes, die die Größe der Liebe ist.

Johannes hat in seinem Evangelium das Gleiche dargestellt, indem er das Kreuz als Erhöhung bezeichnet. Das Kreuz ist der letzte Platz in der Geschichte, der Gekreuzigte hat überhaupt keinen Platz. Das Kreuz ist ein „Un-Platz“: der Gekreuzigte steht nicht mit den Füßen auf der Erde, er ist weggenommen, er ist entkleidet, ein Nichts und ein Niemand… Und doch sieht Johannes dieses Verlieren des Bodens unter den Füßen, diese äußerste Erniedrigung, diesen Ausschluss auf den „Un-Platz“, als die wirkliche Erhöhung. Höher ist Jesus gerade so, ja, er ist auf der Höhe Gottes, weil die Höhe des Kreuzes die Höhe der Liebe Gottes ist, die Höhe des Verzichtes auf das Eigene und die Hingabe für die anderen. So ist das Kreuz der göttliche Platz. Wir wollen den Herrn bitten, dass er uns schenkt, immer mehr dies zu verstehen und in Demut, jeder auf seine Weise, dieses Mysterium der Erhöhung und der Erniedrigung anzunehmen.

Im Evangelium folgt dann noch eine zweite Mahnung Jesu, wo er von den Einladungen spricht. Wir alle kennen dieses Karussell der Einladungen, das uns – abgesehen von schönen Aspekten – doch zum Überdruss werden kann. Jesus sagt: Steigt nicht da ein. Ladet die ein, die euch nicht einladen können: Die Lahmen, die Blinden, die Krüppel, die Armen, die Bettler… Er hat es selbst so gemacht. Er lädt uns an den Gottestisch, und er sagt uns damit, dass das Umsonst – die gratuità – wesentlich für unser Leben ist. Das Leben unserer Gesellschaft ruht auf dem „Do ut des“, und in der Tat braucht die Wirtschaft Gerechtigkeit, braucht die „Iustitia commutativa“. Zur katholischen Soziallehre gehört es, diese „Iustitia commutativa“, das rechte Miteinander und Füreinander zu definieren. Aber auch in der größten wirtschaftlichen Blüte, auch inmitten aller „Iustitia commutativa“, die recht und notwendig ist, bleibt das Umsonst, bleibt die gratuità notwendig. Ohne das Umsonst der Güte, ohne das Umsonst der Vergebung kann keine Gesellschaft gedeihen. Die größten Dinge des Lebens – die Liebe, die Freundschaft, die Güte, die Vergebung – die können wir nicht bezahlen: Die sind umsonst, wie Gott uns umsonst beschenkt. So dürfen wir, mitten in allem Ringen um die Gerechtigkeit in der Welt nie das Umsonst Gottes vergessen, sondern es immer wieder geben und empfangen; immer wieder darauf bauen, dass der Herr es uns schenkt, dass gute Menschen uns das Umsonst ihrer Güte schenken, dass sie umsonst uns ertragen, umsonst uns lieben und gut sind. Immer wieder wollen wir auch selbst dieses Umsonst weitergeben, und so die Welt an Gott annähern, Ihm ähnlich werden lassen, auf Ihn hin öffnen.

Am Schluss ist doch wohl noch einmal ein Blick auf die 2. Lesung hin notwendig (Hebr 12,18f.22–24). Sie spricht von der Liturgie und sagt: Unsere Liturgie ist äußerlich nicht gewaltig wie der Sinai mit loderndem Feuer, mit Finsternis und Sturmwind. Äußerlich betrachtet ist die christliche Liturgie demütig. Aber in der Demut ihrer äußeren Erscheinung verbirgt sich Großes, denn in ihr treten wir hin „zum Berg Zion, zur Stadt des lebendigen Gottes, zu Tausenden von Engeln, zu einer festlichen Versammlung“. Ja, wo Liturgie gefeiert wird, ist Zion, ist der Gottesberg, den die Menschheit irgendwie immer sucht; ist die Höhe, in der wir ins Licht, zu Gott hinauf kommen. Wo Eucharistie mit Christus gefeiert wird, ist Jerusalem, die heilige Stadt. Wir treten in diesem Augenblick in dieses eschatologische Geheimnis hinein, in Gottes heilige Stadt. Sie ist da, weil Jesus, der Mittler des neuen Bundes mit seinem Blut da ist (Hebr 12,24). Das Blut Christi, das in der Mitte der Eucharistie steht, ist Anwesenheit Gottes, führt uns zum Zion, schenkt uns das Eintreten in die Herrlichkeit der Festversammlung Gottes. Wir wollen in dieser Stunde uns ehrfürchtig verbeugen vor diesem Geheimnis, dass Er mit Seinem Sich-Hingebenden Blut, als der Sich-Schenkende da ist und so Gottes Berg da ist. So wie wir im heiligen Jerusalem stehen, wollen wir Ihn bitten, dass Er uns schenkt, dieses Geheimnis immer mehr zu verstehen, es immer mehr zu leben. Amen.