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Homilie von Kardinal Schönborn am 22. Sonntag im Jahreskreis

Als Jesus an einem Sabbat in das Haus eines führenden Pharisäers zum Essen kam, beobachtete man ihn genau. Als er bemerkte, wie sich die Gäste die Ehrenplätze aussuchten, nahm er das zum Anlass, ihnen eine Lehre zu erteilen. Er sagte zu ihnen: Wenn du zu einer Hochzeit eingeladen bist, such dir nicht den Ehrenplatz aus. Denn es könnte ein anderer eingeladen sein, der vornehmer ist als du,und dann würde der Gastgeber, der dich und ihn eingeladen hat, kommen und zu dir sagen: Mach diesem hier Platz! Du aber wärst beschämt und müsstest den untersten Platz einnehmen. Wenn du also eingeladen bist, setz dich lieber, wenn du hinkommst, auf den untersten Platz; dann wird der Gastgeber zu dir kommen und sagen: Mein Freund, rück weiter hinauf! Das wird für dich eine Ehre sein vor allen anderen Gästen. Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden. Dann sagte er zu dem Gastgeber: Wenn du mittags oder abends ein Essen gibst, so lade nicht deine Freunde oder deine Brüder, deine Verwandten oder reiche Nachbarn ein; sonst laden auch sie dich ein, und damit ist dir wieder alles vergolten .Nein, wenn du ein Essen gibst, dann lade Arme, Krüppel, Lahme und Blinde ein. Du wirst selig sein, denn sie können es dir nicht vergelten; es wird dir vergolten werden bei der Auferstehung der Gerechten. (Lk 14,1.7-14)

Quelle: Einheitsübersetzung

Verehrter, lieber Heiliger Vater! Liebe Brüder und Schwestern!

BUCHEMPFEHLUNG

Peter Kuhn (Hg.)Gespräch über JesusPapst Benedikt XVI. im Dialog mit Martin Hengel, Peter Stuhlmacher und seinen Schülern in Castelgandolfo 2008. Im Auftrag der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung.
Erscheinungsjahr: 2010,
Mohr Siebeck
ISBN 978-3-16-150441-9
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Die Szene des heutigen Evangeliums, ein Sabbat-Gastmahl bei einem führenden Pharisäer, beginnt mit einem gegenseitigen Beobachten. Der Gastgeber und seine Freunde beobachten Jesus genau. „Sie passten ihm auf“, übersetzt Adolf Schlatter. Sie beäugen ihn kritisch. Und sie finden gleich Anlass, ihre kritischen Vorurteile bestätigt zu finden. Denn Jesus heilt einen wassersüchtigen Menschen (unsere Sonntagslesung überspringt diese Heilung), und das an einem Sabbat!
Und Jesus beobachtet sie. Er bemerkt ihr Verhalten beim Gastmahl, ihr Gerangel um die ersten Plätze beim Mahl. Der kritisch Beobachtete wird zum Beobachter ihres kindischen Verhaltens. In der Form eines Gleichnisses hält er ihnen einen Spiegel vor, und auch uns, denen das Evangelium verkündet wird. Wie immer in den Gleichnissen geht es um Alltagserfahrungen. Sich auf den letzten Platz zu setzen, ist nicht zuerst eine Frage der Demut, sondern der Klugheit: Besser hinaufgebeten zu werden, als später mit rotem Kopf hinuntergeschickt zu werden. Besser ein „upgrading“ als ein „down grading“. Diese Klugheit ist aber nicht eine schlaue Strategie, um doch noch zum Ehrenplatz zu kommen. Echte Demut hat immer etwas ganz Realistisches. Mozart war sich bewusst und sprach es gelegentlich aus, dass er zu den Besten gehörte. Es hat ja gestimmt. Seine Demut bestand darin, dass er sein Genie bejahte, es aber immer als Gabe Gottes und damit als Aufgabe sah. Ich brauche die Analogie zu unserem verehrten Lehrer nicht zu explizieren. Demut ist etwas sehr Nüchternes. Sie hat mit Wahrhaftigkeit und Dankbarkeit zu tun.
Demut ist vor allem der nüchtern-freudige und dankbare Blick auf unsere Kreatürlichkeit. Jesus sagte zur Heiligen Katharina von Siena: „Erkenne, wer du bist und wer ich bin – und du wirst glücklich sein: Ich bin der, der ist und du bist die, die nicht ist.“ „Was hättest du, was du nicht empfangen hat“, sagt der Apostel. Demut als geschöpfliche Grundhaltung! Um sie tiefer erfassen und leben zu können, hat der Schöpfer-Logos Fleisch angenommen, Knechtsgestalt, ist selber Geschöpf geworden, um uns aus der Mitte unserer Geschöpflichkeit die Haltung des Geschöpfs zu zeigen. Er lädt uns ein, von ihm zu lernen, da er „sanftmütig und demütig von Herzen“ ist (Mt 11,29). Sanftmut und Demut empfiehlt schon Jesus Sirach (1. Lesung): „Je größer du bist, desto mehr demütige dich selber“, so heißt es wörtlich (aber das war wohl der „Einheitsübersetzung“ zu hart, obwohl der christologische Bezug ins Auge springt).
So wird unser Blick auf Christus gerichtet. Er ist es, der den letzten Platz gewählt hat, er, der in Gottesgestalt war (vgl. Phil 2). Mich erinnert das kleine Gleichnis vom letzten Platz an ein anderes Gastmahl, das Jesus mit seinen Jüngern hält. Nach dem Bericht des Heiligen Lukas gab es, nachdem Jesus die Eucharistie gestiftet hatte, einen Streit der Apostel, wer von ihnen der Größte sei (vgl. Lk 22,24-30): Klerikaler Rangstreit im Abendmahlsaal, gleich nach der Einsetzung des Priestertums des Neuen Bundes!
Ja, Herr, du beobachtest uns, wie wir um die Ehrenplätze streiten, offen oder subtil. Und du erinnerst uns: „Ich bin unter euch wie der, der bedient“ (Lk 22,27). Beschämt müssen wir es immer neu im Blick auf dich bekennen, dass wir noch viel von dir lernen müssen. Doch du selbst tröstest uns, Herr: Ja, im Abendmahlsaal hat der Herr, trotz des bevorstehenden Verrates, den Aposteln die große Verheißung gegeben: „In allen meinen Prüfungen habt ihr bei mir ausgeharrt. Darum vermache ich euch das Reich, wie es mein Vater mir vermacht hat“ (Lk 22, 28f.). Welch ein Vertrauen des Herrn! Er hat es uns anvertraut, das Reich seines Vaters.
Damit aber die Größe unserer Berufung uns nicht überheblich macht, hat er uns, und besonders den ersten der Apostel, auf den letzten Platz gestellt. So sieht es zumindest der Heilige Paulus: „Ich glaube nämlich, Gott hat uns Apostel auf den letzten Platz gestellt, wie Totgeweihte; denn wir sind zum Schauspiel geworden für die Welt, die Engel und die Menschen. Wir stehen da als Toren um Christi willen, ihr dagegen seid kluge Leute in Christus. Wir sind schwach, ihr seid stark; ihr seid angesehen, wir sind verachtet … wir werden beschimpft und segnen, wir werden verfolgt und halten stand; wir werden geschmäht und trösten. Wir sind sozusagen zum Abschaum der Welt geworden“ (1 Kor 4,9-13).
Heiliger Vater! Diese Worte des Apostels mögen Ihnen Trost sein, wenn selbst von Mitgläubigen, Mitchristen Beschimpfungen kommen und Ihnen „die rote Karte“ gezeigt wird. Die Demut wendet die Beschimpfung in Segen. Danke, dass Sie uns die Haltung Jesu zeigen, der sanftmütig und demütig von Herzen ist. Ist das nicht etwas Wunderschönes im christlichen Glauben, in der christlichen Erfahrung: Die Freude darüber, dass die Maßstäbe des Himmelreichs so anders sind – wer ist wirklich groß im Himmelreich? Wie beglückend ist es, schon hier auf Erden in Menschen, die nach dem Herzen Jesu sind, die Großen des Himmelreichs zu erahnen! Und diese Freude fehlt dem Heiligen Vater nicht in den vielen Begegnungen mit Menschen, die nach den Maßstäben der „ekklesia“, der Gemeinschaft der „Erstgeborenen im Himmel“ (Hebr, 2. Lesung) groß sind, auch wenn sie vor der Welt ohne Bedeutung sind.
Jetzt lädt uns der Herr selber zu seinem Gastmahl. Er scheut sich nicht, Arme, Krüppel, Lahme, Blinde einzuladen. Er lädt uns arme Sünder, mit allen unseren Mängeln und Fehlern, ein und ist unter uns der Dienende. Selig, die zum Hochzeitsmahl des Lammes geladen sind!