Mit dem Verzicht von Papst Benedikt auf das Amt des Bischofs von Rom, des Nachfolgers des Apostels Petrus, geht für seinen Schülerkreis und seinen Neuen Schülerkreis eine Periode des Gesprächs und innerer Nähe so unerwartet zu Ende, wie sie begonnen hatte. Er selbst hatte uns bei der ersten Audienz nach seinem Amtsantritt ein Treffen mit ihm in Castelgandolfo vorgeschlagen. Dies führte noch im gleichen Jahr zu einer Begegnung, die dann Jahr für Jahr wiederholt wurde. Beim letzten Treffen wagte er freilich nicht mehr, seine Mitwirkung an der für 2013 geplanten Tagung fest zuzusagen. Vielleicht hatte er deshalb noch einmal bei der Eucharistiefeier am Sonntag selbst das Wort Gottes für uns ausgelegt und sich nach dem Frühstück von allen persönlich verabschieden wollen. Das ließ sich freilich dann doch nicht machen, da der Schülerkreis wie der Neue Schülerkreis ihm noch je ein Buch überreichen wollten: „Das Zweite Vatikanische Konzil. Die Hermeneutik der Reform“ und „Ein hörendes Herz. Hinführung zur Theologie und Spiritualität von Joseph Ratzinger/ Papst Benedikt XVI.“. Aber wohl niemand von uns dachte in diesem Augenblick an einen baldigen Amtsverzicht unseres Lehrers.
Es legt sich uns nahe, auf die Treffen dieser Jahre zurückzublicken
Zu den frühesten theologischen Gesprächen in Castelgandolfo gehören zwei, welche Gott als Schöpfer und die Frage nach der Evolution in den Blick nahmen: 2006 mit den Professoren Peter Schuster, Paul Erbrich S.J., Robert Spaemann und Kardinal Christoph Schönborn O.P. als Referenten, 2007 mit den Professoren Ulrich Lüke und Rolf Schönberger. Damit war ein wichtiges Thema der großen Thematik des Verhältnisses von Glaube und Vernunft in den Blick genommen. Hierzu waren Persönlichkeiten aus Naturwissenschaft, Philosophie und Theologie als unsere Gesprächspartner eingeladen. Papst Benedikt selbst wollte auf diese Weise dazu beitragen, dass unsere Gespräche ein Anstoß für die Theologie werde, sich dieser Frage neu zuzuwenden. Das aus der erstgenannten Tagung entstandene Buch „Schöpfung und Evolution“ wurde in fünf Sprachen übersetzt.
Das Erscheinen des ersten Teil des Werkes von Joseph Ratzinger- Benedikt XVI. „Jesus von Nazareth“ führte 2008 zu einer Tagung mit den evangelischen Exegeten Martin Hengel und Peter Stuhlmacher, in dem die Fragen nach dem historischen Jesus und nach seinem Todesverständnis aufgenommen wurden. Mit Professor Martin Hengel nahm an diesem Treffen auch sein Schüler Professor Roland Deines am Treffen teil. Diese Tagung wurde von uns nicht bloß wegen der zentralen Fragestellung als besonders bedeutsam empfunden, sondern auch weil sie zu einer bewegenden ökumenischen Begegnung wurde. Ihre Ergebnisse wurden veröffentlicht unter dem Titel „Gespräch über Jesus. Papst Benedikt im Dialog mit Martin Hengel und seinen Schülern in Castelgandolfo“.
Eng verbunden mit der Frage nach Jesus Christus waren die Tagungen über die Auslegung des Zweiten Vatikanischen Konzils und die Liturgie, über die Kirche und ihre Sendung. Das Treffen von 2010 „Hermeneutik des Zweiten Vatikanisches Konzils“, mit dem Präsidenten des Rates zur Förderung der Einheit der Christen, Kardinal Kurt Koch, als Referenten, galt nicht bloß dem Konzil „zwischen Tradition und Innovation“, sondern auch der Liturgie in der Liturgiekonstitution und in der nachkonziliaren Liturgiereform. Die missionarische Sendung der Kirche in der heutigen Zeit wurde im Jahr davor und im Jahr danach thematisiert: 2009 als Frage nach der Mission – der Sendung zu den Völkern (Ad Gentes) –, 2011 als Frage nach der Neuevangelisierung. 2009 referierten der evangelisch-lutherische Theologe Professor Peter Beyerhaus und der katholische Professor Horst Bürkle. 2011 sprachen – aus persönlichen Erfahrungen und aus philosophischer Sicht – Herr Otto Neubauer von der Gemeinschaft Emmanuel und Frau Professor Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz.
Das letzte Treffen des Kreises, dem seit Jahren auch ein lutherischer Theologe als Gast zugehört, war ganz der Ökumene gewidmet – vor allem dem Gespräch zwischen katholischer Kirche und Luthertum, aber auch dem Dialog mit dem Anglikanismus. Im Zentrum stand die Frage, wie in den kommenden Jahren die Früchte jahrzehntelanger ökumenischer Gespräche geerntet werden können. Aber zugleich wurde die Erwartung geweckt, die Schritte auf Einheit hin könnten wesentlich dazu beitragen, den Glauben in einer säkularisierten Welt neu aufblühen zu lassen. Referenten waren Professor Ulrich Wilckens, lutherischer Altbischof i. R., und Professor Theodor Dieter sowie der katholische Bischof Jacques Morerod. Auch diese Tagung war theologisch und geistlich fruchtbar. Ein ökumenisches Gespräch mit der Orthodoxie war von uns schon in den Blick genommen worden, konnte nun aber nicht mehr festgelegt und durchgeführt werden.
Das allererste Treffen in Castelgandolfo (2005) war dem Dialog des Christentums mit dem Islam gewidmet. Im Blick standen das islamische Gottesverständnis und das islamische Offenbarungsverständnis, aber auch die islamische Ethik. Es referierten die Professoren Christian Troll SJ und Samir Khamil Samir SJ. So stand das erste wie das letzte Treffen im Horizont des Dialogs.
Es ging dem Heiligen Vater und uns immer um das tiefere Erfassen des Evangeliums und seiner Weite im Gespräch mit den Kulturen und den Fragen der Menschen unserer Zeit. Dies bestätigt sich in besonderer Weise in der Wahl des Themas eines weiteren Treffens in diesem Jahr, eines Themas, das Papst Benedikt besonders am Herzen liegt: Die Gottesfrage im Horizont der Säkularisierung mit Professor Remy Brague als Referenten.
Die Empfindungen, die uns in diesem Augenblick bewegen, sind vielfältig
Wir Schüler von Joseph Ratzinger empfinden den Abschied von Papst Benedikt als Nachfolger des Apostels Petrus zunächst gewiss als sehr schmerzlich. Wir spüren den Verlust. Da er das Wort Gottes so unermüdlich in sein Denken, in sein Herz und in sein Leben aufnahm, konnte er es tief und glaubwürdig auslegen. Gerade als Papst gelang es ihm noch mehr als vorher, das Evangelium in einer schlichten, plastischen Sprache zum Leuchten zu bringen – für die einfachen Gläubigen wie für die Intellektuellen. Er suchte das ökumenische Gespräch mit einer leidenschaftlichen Liebe zu den Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften und mit großer Offenheit für ihren spirituellen Reichtum. Wir erlebten, wie er ohne Rücksicht auf sich selbst und in unzähligen Begegnungen gültige Wege bahnte: den „unwiderruflichen Weg des Dialogs, der Brüderlichkeit und Freundschaft“ mit dem jüdischen Volk, den Weg für das Gespräch mit dem Islam, für fruchtbare Gestalten interkultureller Begegnung mit den Religionen, aber auch für einen neuen Dialog mit der aufgeklärten und der säkularisierten Gesellschaft. Er wollte die Frage nach Gott, die Frage nach dem lebendigen Gott, der in Jesus Christus sein Gesicht gezeigt hat, als zentrale Aufgabe unserer Zeit zur Geltung zu bringen.
Papst Benedikt XVI. suchte die Kirche von innen her zu erneuern: durch ein vertieftes Hören auf das Wort Gottes und vor allem durch eine liebende, anbetende Einung mit Gott in der Eucharistie. Diese mystische Spiritualität war für ihn nicht denkbar ohne die demütige Offenheit für die Menschen. Sie lebt aus der Erfahrung und Annahme der Liebe Gottes und gibt dem Glauben die Grundstimmung der Freude zurück. Sie bedeutet die Hingabe an Christus in der Gewissheit, sich gerade auf diese Weise neu zu gewinnen. Sie gab ihm den Mut, auch den jungen Menschen zuzurufen: „Wagt es, glühende Heilige zu sein, in deren Augen und Herzen die Liebe Christi strahlt und die so der Welt Licht bringen.“
Wir Schüler eines so überragenden Lehrers können dem Heiligen Vater nicht genug dafür danken, dass wir ihm auch in der Zeit seines Pontifikats jedes Jahr begegnen und seine persönliche Nähe erleben durften. Sein kühner Schritt, auf den Petrusdienst zu verzichten, erfüllt uns freilich nicht nur mit Trauer, sondern zugleich mit der Freude, dass gerade auf diese Weise seine geistliche Größe sichtbar geworden ist. Er ist noch mehr als bisher vom Lehrer zum Zeugen geworden: in der inneren Unabhängigkeit des Gewissens, das im Angesicht Gottes die großen Entscheidungen fällt, in der Lauterkeit und Demut, die auch das Petrusamt als ein Dienen im Geist Jesu beglaubigt, in der Bereitschaft, in Verborgenheit, Stille und Anbetung Gottes Angesicht zu suchen und dadurch auf neue Weise den Menschen nahe zu sein.
Symphonisches Erbe
Noch ganz unter dem Eindruck des Schmerzes, aber auch der dankbaren Freude über dieses große Pontifikat gilt es nun für uns Schüler, insbesondere für uns neue Schüler, die Augen des Glaubens nach vorne zu richten. In der Predigt am 2. Februar hat uns Benedikt XVI. dazu eingeladen, unseren Glauben zu erneuern, der uns in der Kraft des Heiligen Geistes dazu befähigt, Pilger hin auf die Zukunft zu sein. Als uns der Heilige Vater im Jahr 2008 als junge katholische und orthodoxe Theologen sammelte und uns ganz unerwartet mit seinen Schülern nach Castelgandolfo einlud, war gerade unsere Schrift zu seinem 80. Geburtstag „Symphonie des Glaubens“ erschienen. Eine zweite folgte im vergangenen Jahr zu seinem 85. Geburtstag unter dem Titel „Symphonie des Wortes“. Mit der Weite, Schönheit und Größe seines symphonischen Denkens hat er uns wie kein anderer geprägt. Wir wurden von seiner Theologie begeistert, sie hat uns in unserem eigenen theologischen Denken angespornt und inmitten des modernen Säkularismus eine tiefe Klarheit geschenkt. Die Liebe zur Wahrheit, in der er in allen intellektuellen Auseinandersetzungen Gott nie aus den Augen verlor, ist sein Erbe, dem wir neue Schüler uns verpflichtet wissen und das wir in theologischer wie spiritueller Hinsicht in Zukunft weitertragen werden. Bei unserem letzten Treffen, 2012 in Castelgandolfo, war dies auch gleichsam sein Testament an uns: die Wahrheit nicht nur intellektuell zu umfassen, sondern sich von ihr formen, führen, treiben und durchdringen zu lassen, damit sie so über uns mächtig werde „und durch uns Macht in der Welt gewinnt“.
Danke, Heiliger Vater!
Für den Schülerkreis: Stephan O. Horn SDS
Für den Neuen Schülerkreis: Michaela C. Hastetter und Christoph Ohly